Während viele Menschen es lieben, in Einkaufszentren shoppen zu gehen, wird das für Hochsensible schnell zur Qual. Davon weiß auch Daniel ein Lied zu singen. Er ist hochsensibel und sagt: "Das ist kurz aufregend, weil es so viele Eindrücke sind. Aber dann wird es schnell überfordernd." Und mit diesen Erfahrungen dürfte er nicht alleine da stehen. Schätzungen zufolge gelten 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung als hochsensibel. Das ist immerhin jeder Fünfte. Aber was ist das eigentlich?

"Im Großen und Ganzen ist Hochsensibilität eine biologische Eigenschaft", erklärt Psychiater und Psychotherapeut Robert Wechsberg. "Hochsensible Menschen reagieren stärker auf Sinnesreize als andere Menschen. Beispielsweise auf auditive, visuelle oder taktile Reize." Natürlich weisen nicht alle hochsensiblen Menschen dieselben Merkmale auf. Einige nehmen zum Beispiel Gerüche oder optische Eindrücke facettenreicher wahr. Bei anderen kommt es wiederum zu einer verstärkten Wahrnehmung von Emotionen: Nicht nur bei den eigenen, sondern auch bei jenen von anderen. So spüren viele hochsensible Personen bereits beim Betreten eines Raumes die Stimmung der darin Anwesenden.

Hochsensibilität: Keine Krankheit

Wissenschaftlich ist das Konzept der Hochsensibilität umstritten. Unter anderem, weil ein solcher Selbsttest auf einer rein subjektiven Einschätzung basiert. Anerkannte Kriterien zur objektiven Messung von Hochsensibilität gibt es bisher nicht. Psychiater Robert Wechsberg stellt klar: "Hochsensibilität ist nichts Pathologisches." Das heißt: Es handelt sich um keine Krankheit und kann entsprechend nicht diagnostiziert werden. Dennoch: Das Konstrukt der Hochsensibilität helfe vielen Menschen, sich selbst besser zu verstehen und das eigene Leben der sensiblen Veranlagung entsprechend zu gestalten.

Relevant für ihn als Psychiater ist zudem, dass eine hochsensible Veranlagung die Entwicklung von Depressionen oder Ängsten durchaus begünstigen kann. Ein ebenfalls nicht zu vernachlässigender Punkt: "Auch medikamentös muss man mit hochsensiblen Menschen anders umgehen, weil sie viel sensibler auf Medikamente reagieren." 

Herausforderungen im alltäglichen Leben

Zu achten ist aber nicht nur auf die Dosierung von Medikamenten: "Ich reagiere beispielsweise sehr stark auf Koffein, da bekomme ich sofort Herzrasen", erzählt Sarah. Sie ist hochsensibel und tauscht sich regelmäßig mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe aus. Zu dieser gehört auch Daniel. Besonders herausfordernd war für ihn lange Zeit der Berufsalltag: "In den Firmen herrscht oft eine negative Grundstimmung, Stress und Zeitdruck. Man spürt das sofort, wenn man ins Büro reinkommt. Das zerrt enorm an der Energie."Überfordernd kann aber auch der Weg zur Arbeit sein - besonders dann, wenn man in der Stadt lebt. "Mir ist das immer so vorgekommen, als ob ich aus der U-Bahn rausgehe und von jedem mit entgegenkommenden Menschen die Gefühle aufnehme", berichtet Sarah, deren Wahrnehmung bei Emotionen besonders stark ausgeprägt ist. 

Hochsensibel: Gut gewappnet durch den Alltag

Robert Wechsberg ist Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Ordination in Wien. Er hat sich unter anderem auf Hochsensibilität spezialisiert.
Robert Wechsberg ist Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Ordination in Wien. Er hat sich unter anderem auf Hochsensibilität spezialisiert. © Privat

Die positiven Aspekte der Hochsensibilität

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Obwohl der Alltag für hochsensible Menschen herausfordernd sein kann, bringt ihr Wesenszug auch eine Vielzahl positiver Aspekte mit sich. Bei Sarah ist es beispielsweise die verstärkte emotionale Wahrnehmung, die sie an ihrer Sensibilität besonders schätzt. Sie sagt: "Ich genieße es, so viel zu spüren. Bei mir ist alles sehr visuell: Wenn ich zum Beispiel Musik höre, entstehen viele schöne Bilder in meinem Kopf." Den Hang vieler hochsensibler Menschen zu Musik oder Kunst beobachtet auch Psychotherapeut Wechsberg: "Das Vielschichtige, das Tiefergehende, das Feine: Das können Hochsensible gut wahrnehmen."Mit der Feinfühligkeit einher geht bei vielen hochsensiblen Menschen auch  eine erhöhte Empathie. Hochsensible seien nicht alle introvertiert, sie können auch extrovertiert sein und gut mit Menschen können, erklärt Wechsberg: "Das ist eine Ressource." Einsetzen ließe sich diese auch im Berufskontext, beispielsweise in Verhandlungen: "Die Kunst zu verhandeln ist ja auch, zu spüren, was der Andere will und braucht. Und vielleicht kann ich dieses Gespür zu meinem Vorteil nützen."