Am 16. März ging Österreich in den ersten Lockdown. Bald neun Monate ist das nun her und dieser Zeitraum regt die Fantasie dahin gehend an, dass es nun hierzulande zu einem Babyboom kommen könnte. Viel Zeit zu Hause, wenig zu tun, der zwischenmenschliche Kontakt auf die engsten Bezugspersonen eingeschränkt – ein perfektes Umfeld für die Familienplanung?

Die Antwort darauf ist: Jein. „Derzeit gibt es keine Zahlen, die einen Babyboom in der westlichen Welt belegen“, sagt Marion Ragossnig von der LKH-Frauenklinik der Med Uni Graz. Auch aus ihrer täglichen Erfahrung in der Klinik zeichnet sich noch kein Boom ab – „wir werden wohl erst im Februar mehr sagen können“. Am Gesundheitszentrum für Kinder, Jugendliche und Frauen des Klinikum Klagenfurt kann die leitende Hebamme Beate Lamprecht bis dato gleichbleibende Geburtenzahlen beobachten. „Aufgrund der demografischen Entwicklung in Kärnten ist die Geburtenzahl jedoch eigentlich rückläufig – die gleichbleibenden Zahlen könnten auf einen leichten positiven Effekt hinweisen“, sagt Lamprecht.

Beate Lamprecht, Klinikum Klagenfurt
Beate Lamprecht, Klinikum Klagenfurt © (c) Sissi Furgler Fotografie

Krisen führen zu Geburtenrückgang

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Beide Expertinnen weisen aber darauf hin, dass es auch Faktoren gibt, die eher zu einem gegenteiligen Effekt, zu einer Geburtenflaute, führen könnten. Da ist zunächst die Erfahrung aus der Vergangenheit: „Krisen und Pandemien, wie etwa die Spanische Grippe, haben zu einem Rückgang der Geburtenrate geführt“, sagt Ragossnig. Die Erklärung ist naheliegend: In unsicheren Zeiten mit gesundheitlichen Bedrohungen, der Sorge um Jobverlust und wirtschaftlicher Ungewissheit kann die Lust, eine Familie zu gründen, gedämpft werden.

„Auch kann sich der Stress einer Krise negativ auf unser Immunsystem und in der Folge auch negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken“, sagt Ragossnig – ein schwaches Immunsystem beeinträchtigt die natürlichen Prozesse, mit einem gestärkten Immunsystem fällt die Befruchtung leichter.

Marion Ragossnig, Med Uni Graz
Marion Ragossnig, Med Uni Graz © kk

Kinderwunschbehandlung gestoppt

Ein weiterer Faktor: In der Zeit des ersten Lockdowns wurden auch Kinderwunschbehandlungen ausgesetzt – „das führte zu großer Verzweiflung, weil für Paare zunächst nicht klar war: Wann geht es weiter?“, sagt Ragossnig. Mittlerweile laufen die Behandlungen aber unter Einhaltung der Covid-19-Maßnahmen wie üblich weiter. Laut Hebamme Lamprecht könnten Lockdowns und Coronakrise aber auch dazu führen, dass sich Menschen wieder auf andere Werte wie eben jenen der eigenen Familie rückbesinnen.

Dass beide Szenarien – Babyboom und Babyflaute – möglich sind, zeigt eine Studie der Soziologin Barbara Rothmüller von der Sigmund-Freud-Universität Wien: Laut ihrer Umfrage unter 4700 Menschen in Österreich haben rund fünf Prozent im Lockdown einen neuen Kinderwunsch entwickelt, vier Prozent gaben an, den bestehenden Kinderwunsch zu pausieren oder zu verschieben. weitere zwei Prozent fanden „es nicht vertretbar, in einer Pandemie ein Kind in die Welt zu setzen“.

Im Jahr 2019 kamen in Österreich rund 85.000 Kinder zur Welt – das sind die letzten verfügbaren Daten der Statistik Austria. Um von einem echten Babyboom zu sprechen, wie er zuletzt in den 50er- und 60er-Jahren geschah, müsste die Geburtenrate schon merklich steigen – ob das passiert, bleibt abzuwarten.