Den österreichischen Reha-Einrichtungen wurde vor mittlerweile sechs Wochen coronabedingt per Bundesgesetz die Schließung verordnet. Althofen hatte zuletzt noch rund 300 Reha-Patienten in Haus. Wann Sie wieder aufsperren dürfen, ist derzeit noch ungewiss. Welche gesundheitlichen Folgeschäden ergeben sich durch ausfallende Rehabilitationen? Wie schätzen Sie als Lungenfacharzt die Situation ein?'
MICHAEL MUNTEAN: Ich gehe davon aus, dass Lungenpatienten, die heuer nicht zur geplanten Reha kommen, häufiger respiratorische Infekte und Beschwerden haben werden bis hin zur Lungenentzündung, weil ihnen das durch uns vermittelte Know-how hinsichtlich Prophylaxe und Risikominimierung fehlen wird. Aber auch stationäre Aufenthalte in den Spitälern werden häufiger werden, weil die Reha ja dafür gedacht ist, wiederkehrende stationäre Aufenthalte in Kliniken maßgeblich zu reduzieren. Die häufige Krankheit COPD wird vermutlich wieder verstärkt den stationären Betrieb und sämtliche Lungenarzt-Praxen beschäftigen. Darüber hinaus sind da jene Patienten, die nach wie vor akute Erkrankungen haben, Infarkte oder schwerste Lungenentzündungen. Hinzu kommen jene, die nach einer Grippe-Lungenentzündung oder einer Covid-19-Lungenentzündung wieder in den Alltag und ihre berufliche Tätigkeit eingegliedert werden sollten. Ich sehe das große Problem darin, dass wir unserer Funktion im Sinne einer Entlastung der Spitäler derzeit nicht nachkommen können.

Michael Muntean leitet seit August 2019 das Humanomend-Kur- und Rehabzentrum in Althofen. Der gebürtige Steirer ist Facharzt für Lungenkrankheiten.
Michael Muntean leitet seit August 2019 das Humanomend-Kur- und Rehabzentrum in Althofen. Der gebürtige Steirer ist Facharzt für Lungenkrankheiten. © Humanomed

Ausgehend von der Bettenanzahl, liegt der Fokus in Althofen bei der Orthopädie. Defizite in der Therapie mögen bei diesen Patienten zwar nicht gleich lebensbedrohlich sein, Bewegungseinschränkungen sind im Alltag aber auch ein großes Problem. Womit rechnen sie als Orthopäde nach diesem Reha-Stillstand, Herr Dr, Lajtai?
GEORG LAJTAI: Derzeit haben wir im Akutbereich das Problem, dass die Leute zwar starke Schmerzen haben, etwa mit der Hüfte kaum gehen können, sich aber vor Operationen scheuen, weil sie danach wahrscheinlich nicht auf Reha gehen können. Den meisten ist nämlich bewusst, dass eine gute Operation ein Baustein im Genesungsprozess ist, nur gemeinsam mit einer guten Rehabilitation ergibt sich ein gutes Ergebnis. Das geht quer durch alle orthopädischen Bereiche, und es geht hier um Schmerzpatienten.

Georg Lajtai ist ärztlicher Leiter der Humanomed-Privatklinik Maria Hilf in Klagenfurt. Er ist Facharzt für Unfallchirurgie und Schulter-Spezialist.
Georg Lajtai ist ärztlicher Leiter der Humanomed-Privatklinik Maria Hilf in Klagenfurt. Er ist Facharzt für Unfallchirurgie und Schulter-Spezialist. © Humanomed

Wie wichtig ist der Zeitfaktor im orthopädischen Reha-Bereich? Womit müssen Patienten mit Knie- oder Hüft-Operationen rechnen, wenn sie nicht zügig zu einer Reha kommen?
LAJTAI: Es ist zu erwarten, dass durch die fehlende Reha die guten, schmerzfreien Ergebnisse nicht  in der gleichen Zeit nach einer Operation erzielt werden können. Es wird einfach länger dauern - für unsere Patienten.


MUNTEAN: Wenn wir von Menschen mit Bewegungseinschränkungen nach Operationen reden, sehe ich auch das Problem, dass darunter auch junge Menschen nach Verkehrs- oder Arbeitsunfällen sind, bei denen es darum geht, wieder die maximale Beweglichkeit zu gewährleisten. Bei alten Menschen mag es das Reha-Ziel sein, wieder ein Stockwerk ohne Hilfe hochsteigen zu können. Ein Friseur wiederum, der seine Finger nicht richtig bewegen kann, muss genau das wieder lernen, um seinen Job nicht zu verlieren. Ein anderer wiederum will sich einfach nach einer Schulter-OP wieder selbst die Haare frisieren können, kann den Arm aber nicht schmerzfrei heben. Jeder Patient hat seine ganz persönlichen Einschränkungen und vor allem auch  Ziele, die es gilt, auf der Reha zu erreichen. Die intensive Zeit in der Reha dient dem Erlernen von Maßnahmen. Von immenser Bedeutung ist das Fortführen dieser Maßnahmen zu Hause. Hinzu kommt: Unsere Patienten haben meistens mehr als nur eine Erkrankung. Glücklich sind die, die nur eine haben. In einer Reha kann es also darum gehen, das Knie wieder belastbar zumachen, und gleichzeitig werden Diabetes und Bluthochdruck richtig eingestellt. Dann bekommt dieser Patient drei Jahre später vielleicht keinen Herzinfarkt und keinen Schlaganfall. Auf dieser Basis sage ich: Wir entlasten unter anderem Akutspitäler, weil wir mit einer Reha auch Akut-Erkrankungen mitbeeinflussen.

Lässt sich die aktuelle Situation auch etwas positiver darstellen?
LAJTAI: Das ist schwierig. Denn alle Spitäler beginnen derzeit, die notwendigen Operationen abzuarbeiten. In der Frage der Therapie danach werden die Patienten derzeit aber allein gelassen.

Ist es übertrieben, von gesundheitlichen Kollateralschäden durch die Corona-Pandemie zu sprechen?
LAJTAI: Nein.  Glück hat, wer jetzt gesund ist und nichts braucht. Wenn Sie derzeit Herz-, Lungen- oder Schmerzpatient sind, ist das ihr individuelles Problem, für das es in Österreich eigentlich zwar eine Lösung gibt – wir sind ja nicht in Afrika - unter diesen speziellen Bedingungen gibt es diese Lösungsmöglichkeiten aber nicht. Derzeit ist das halt so. Es wird hoffentlich bald wieder werden.

Wie darf man sich das Wieder-Hochfahren des Betriebs vorstellen, sobald sich die Regierung auf ein Datum festlegt? Kommen dann jene zum Zug, die zuletzt abbrechen mussten?
MUNTEAN: Wir könnten, wenn wir dürften, binnen 14 Tagen aufsperren, und dabei die derzeit geforderten Schutzbestimmungen für Personal und Patienten erfüllen. Ein so großes Haus wie das unsere hat seine Reha aber über Monate mit der ganz konkreten Aufnahme von konkreten Patienten vorausgeplant. Diese Termine stehen nach wie vor. Wir müssen nun regelmäßig eine Charge von Patienten kontaktieren, um ihnen rechtzeitig abzusagen und später versuchen, sie im laufenden Betrieb nach Notwendigkeit und Dringlichkeit unterzubringen.

Ihre Ressourcen werden durch die Corona-Schutzbestimmungen aber wohl geringer sein als vor der Pandemie?
MUNTEAN: Da muss man auf die genauen Vorgaben der Regierung warten. Zum heutigen Tag,  wir haben jetzt den 24. April, würde es bedeuten, dass jeder Patient in einem Einzelzimmer untergebracht wird und dass im Speisesaal jeder Patient seinen eigenen Sitzplatz mit ausreichendem Abstand zu anderen Patienten  hat – weiters  Maskenpflicht für jeden unserer Patienten und für das Personal sowie geeignete Screening-Methoden hinsichtlich Corona beim Personal, eventuell auch ein Corona-Screening bei den Patienten am Tag der Aufnahme. Unter Berücksichtigung der aktuell geltenden Bedingungen würde sich für ein Haus in unserer Größe mit 650 Betten eine Reduktion um knapp ein Drittel ergeben.

Wie weit können digitale Kanäle das Reha-Angebot ersetzen, etwa durch Videos von Physiotherapeuten?
LAJTAI: Ich habe einen Teil meiner Ausbildung in Amerika gemacht, das ist jetzt mehr als 20 Jahre her. Da war das schon Thema. Bei den Jungen, Aktiven, hat das gut funktioniert. Aber eine Übung nur zu zeigen, ist nicht genug. Um eine Kontrolle über die richtige Ausführung zu haben, ist die direkte Betreuung unumgänglich. Man kann Patienten über Online-Kanäle vielleicht sagen, was korrigiert gehört, muss letztlich aber auch irgendwie Hand anlegen können. Berühren und Behandeln hat schon etwas mit Physis zu tun.

Gibt es für einen möglichen Reha-Start eine hausinterne Prioritätenliste in Althofen?
MUNTEAN: Wenn man mich fragt, gibt es drei große Ziele: einerseits die Orthopädie aufgrund der großen Nachfrage, dann die Herzpatienten und die Lungenpatienten. Nicht zuletzt durch Corona haben wir in der dritten Gruppe eine beachtliche Anzahl an Menschen, die wir rehabilitieren sollten und müssen.

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