Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen, Stimmen, die unablässig auf einen einreden, einen beschimpfen oder auch Dinge befehlen: Die Wahrnehmungen, mit denen Menschen mit Schizophrenie zu kämpfen haben, sind für Gesunde kaum nachzuvollziehen. Bei der Schizophrenie verschwimmen Realität und Fiktion, Alltägliches wird als Bedrohung empfunden, der tägliche Kampf mit der verzerrten Wahrnehmung kann tödlich enden: 5 bis 12 Prozent der Schizophrenie-Patienten begehen Suizid. Die Gewalt gegen sich selbst wird als Befreiung gesehen, um den Psychosen ein Ende zu setzen.

Aber Gewalt kann sich – bedingt durch Wahnvorstellungen oder Verfolgungsängsten – auch gegen andere richten. Das Bild der Schizophrenie in der Öffentlichkeit wird von diesen wenigen, aber oft dramatischen Fällen geprägt, wie Heidi Kastner, forensische Psychiaterin an der Kepler-Uniklinik in Linz, weiß.

Schizophrenie = gefährlich?

Einzelfälle führen dazu, dass psychische Erkrankungen generell mit „Gefährlichkeit“ in Verbindung gebracht werden. Warum ist das so?

Heidi Kastner: Es kommt zu einer Wahrnehmungsverzerrung: Wenige Betroffene sind extrem auffällig und werden symptomatisch für die ganze Gruppe gesehen. Die Wahrnehmung der Psychiatrie erfolgt zu 90 Prozent über Schizophrene, die straffällig geworden sind und über die medial berichtet wird. Der Normalbürger will ja, abgesehen von Burnout-Erkrankungen, weil die hat man sich ja „erarbeitet“, mit der Psychiatrie nichts zu tun haben. Das Bild vom Rest der psychischen Auffälligkeiten macht man sich über diese wenigen, aber hochdramatischen Meldungen über Schizophrene, die gewalttätig geworden sind.

Heidi Kastner, forensische Psychiaterin in Linz

Warum hat die Schizophrenie eine solche Sonderstellung?

Heidi Kastner: Weil das Verhalten der Betroffenen so befremdend ist. Man kann sich noch vorstellen, dass jemand eine Angststörung hat, jeder hat schon einmal Angst gehabt. Auch bei der Depression kommt man noch mit, aber Schizophrenie ist völlig fremd.

Bei welchen Formen der Schizophrenie kann es zu Gewalt kommen?

Heidi Kastner: Das sind Formen von Schizophrenie, die bestimmte Symptome aufweisen, wie Wahnvorstellungen oder Verfolgungswahn. Die Gedanken lauten dann so: Alle verfolgen mich, alle wollen mich töten, es gibt eine Verschwörung. Betroffene interpretieren ihr aggressives Verhalten daher als Notwehr – hätten sie sich umbringen lassen sollen? Die zweite Gruppe sind Menschen mit befehlsgebenden Halluzinationen. Betroffene leisten Widerstand, aber irgendwann wird diesen Stimmen nachgegeben. Wenn die Stimmen sagen: Bring dich um, kommt es zum Suizid. Oder die Stimmen sagen, bring jemand anderen um, zum Beispiel, um die Welt vor der Übernahme durch Außerirdische zu retten. Die Gefährlichkeit ist in diesen Fällen eine spezielle, weil Außenstehende die Gefahr nicht sehen. Betroffene verhalten sich entsprechend ihrer Logik, doch diese ist von außen nicht erkennbar und sehr realitätsfremd.

Was können Psychiater tun, um solchem Verhalten zuvorzukommen?

Heidi Kastner: Aus der Prognose-Forschung in der Forensik kennen wir Faktoren, die mit Gefährlichkeit verknüpft sind. Diese sollte jeder Psychiater kennen. Der aussagekräftigste Faktor ist vergangene Gefährlichkeit: Hat ein Patient seine Mutter schon mehrfach bedroht? Für solche Fälle gibt es das Unterbringungsgesetz. Auch Alkohol- oder Drogenmissbrauch senken die Hemmschwelle für Straftaten. Und wenn sich jemand verfolgt fühlt, müsste man viel kritischer sein – Betroffene in solchen Situation brauchen Medikamente!

Stichwort Unterbringung: Für Angehörige ist es eine schwierige Situation, derjenige zu sein, der einen Betroffenen „einweisen“ lässt. Was raten Sie?

Heidi Kastner: Derjenige, der einen Schwerkranken einweisen lässt, ist gleichzeitig der, der dem Betroffenen am meisten hilft! Wenn ich die Symptome herunterspiele oder wegschaue, zementiere ich nur die Erkrankung und ihre fatalen Folgen. Wenn eine Einweisung bewirkt, dass der Mensch endlich gut behandelt wird, ist das langfristig die richtige Entscheidung. Es ist auch so: Nach drei bis vier akuten Schizophrenie-Schüben spricht nur noch die Hälfte der Patienten auf die Therapie an. Daher ist es für Nahestehende so wichtig, früh etwas zu unternehmen. Je länger ich zuschaue, desto schlechter der Verlauf.