Die WHO hat Leitlinien zur Demenzvorsorge herausgegeben. An erster Stelle steht die körperliche Aktivität.

Manuela Macedonia: Juhu!

Sie finden die Entscheidung also gut – warum?

Bewegung ist die einzige Möglichkeit, ohne Nebenwirkungen dem Abbau des Gehirns vorzubeugen. Bewegung wirkt im Gehirn wie ein Generalservice, sie fördert alle Prozesse, die für die Gesundheit des Gehirns wichtig sind. Das gilt vor allem für das alternde Gehirn: Ab dem 20. Lebensjahr schrumpft unser Gehirn und damit werden auch die geistigen Fähigkeiten beeinträchtigt. Wenn ich nicht dagegenwirke, kann sich das Gehirn nicht regenerieren. Das ist wie beim Auto: Wenn ich 20 Jahre lang kein Service mache, wird der Mechaniker sagen: Bei dieser Rostschüssel kann ich nichts mehr tun. Dieses Service für unser Gehirn ist Bewegung!

Aber Bewegung ist unbeliebt – warum?

Weil Bewegung anstrengend ist! Bei meinen Vorträgen werde ich immer gefragt: Was kann ich sonst machen, außer Bewegung? Was können wir essen? Welche Medikamente kann ich nehmen? Natürlich soll man sich gesund ernähren, aber: Sogenanntes Brainfood ist keine Alternative zu Bewegung! Und man kann auch nicht alternativ zur Bewegung Medikamente einwerfen, die helfen vielleicht punktuell, bringen das System aber nicht in Ordnung.

Wie funktioniert dieses Service des Gehirns durch Bewegung?

Schauen wir uns zwei zentrale Prozesse an: Einer ist die Ausschüttung des Nervenwachstumsfaktors. Das ist ein Stoff, den das Gehirn produziert und der Gehirnzellen und die Verbindungen zwischen den Zellen stärkt. Diese Substanz wirkt wie ein Dünger für das Gehirn – im Alter wird die Ausschüttung dieses Faktors aber weniger. Doch wenn wir uns bewegen, regen wir jene Regionen im Gehirn an, die den Nervenwachstumsfaktor produzieren.

Und der zweite Prozess?

Das ist die Neurogenese, die Entstehung neuer Gehirnzellen im Hippocampus. Dort werden das ganze Leben über Stammzellen für das Gehirn produziert, das ist die Ziegelwerkstatt unseres Gehirns. Diese Stammzellen wandern dorthin, wo es schon Schäden am Gehirn gibt. Aber diese Ziegelwerkstatt Hippocampus muss auch instand gehalten werden – das gelingt durch Bewegung.

Gibt es eine Erklärung dafür, dass Bewegung diese zentrale Rolle für unser Gehirn spielt?

Evolutionär gesehen musste in die Maschinerie Mensch ein Mechanismus eingebaut werden, der für die Regeneration zuständig ist und der es möglich macht, dass wir uns an unsere Umgebung anpassen und überleben können. Ich gebe das Beispiel eines afrikanischen Stamms, in dem die Menschen noch als Jäger und Sammler leben. Sie legen jeden Tag zig Kilometer zu Fuß zurück und erlegen Beute durch Treibjagd. Dafür braucht es extreme Wachsamkeit und ein gutes Ortsgedächtnis, um das Überleben zu sichern. Diese räumliche Navigation liegt auch im Hippocampus. Die Evolution hat es so eingerichtet, dass über die Bewegung die Regeneration im Gehirn angestupst wird.

Wir sind keine Jäger und Sammler mehr: Welche Bewegung braucht unser Gehirn?

Ich sage: Ziehen Sie Ihre Schuhe an und gehen Sie raus. Gehen, gehen, gehen Sie! Sie müssen keinen Marathon laufen, aber es sollte anstrengend sein, denn das regt auch die Entstehung neuer Gefäße im Körper an. Wenn ich nur gemütlich spazieren gehe, bringt das nicht so viel. Ich muss aus der Komfortzone kommen, sollte rote Wangen bekommen, das T-Shirt sollte etwas angeschwitzt sein. Das Training sollte aber im aeroben Bereich stattfinden, man sollte nie atemlos werden.

Und es muss Gehen sein?

Man kann sich auch auf das Fahrrad setzen, schwimmen gehen und alle Arten der Fortbewegung machen, wie Laufen oder Nordic Walking. Auch Sportarten, wo Laufen dabei ist, zum Beispiel Fußballspielen, sind eine Möglichkeit. Aber für all das gilt: mit einer gewissen Häufigkeit! Ich muss mich täglich für eine Stunde bewegen.

Unter Gehirntraining versteht man gewöhnlich Denksportaufgaben: Welche Rolle spielen die?

Solche Trainings sind zwecklos. Durch ein solches Training wird man vielleicht besser darin, gewisse Rätsel zu lösen – es gibt aber keinen Transfereffekt! Mein Gedächtnis wird dadurch aber nicht besser. Und was wir im Alter brauchen, ist das Kurzzeitgedächtnis und jene Region des Gehirns, die es uns ermöglicht, Dinge gleichzeitig zu erledigen. Der einzig effiziente Weg, um das zu fördern, ist Bewegung, gepaart mit anspruchsvollen geistigen Tätigkeiten.

Was ist das zum Beispiel?

Eine Fremdsprache oder das Spielen eines Musikinstruments zu lernen, bringt nachweislich etwas. Und: All die Aufgaben, die mich geistig anstrengen, sind sinnvoll. Daher rate ich älteren Menschen in meinen Vorträgen: Lernen Sie, wie ein Smartphone funktioniert! Lernen Sie etwas, das anstrengend ist – und nicht das, was Sie schon können.