Vor einigen Monaten, ein warmer Nachtmittag im Sommer, legte ich mir mein Schneidebrett aus Holz zurecht, nahm ein Messer in die Hand und fing an, eine Zwiebel zu schnibbeln – zum ersten Mal in meinem Leben tat ich das nicht, weil ich Appetit hatte oder die Familie versorgen musste, nein, das hier war Arbeit im klassischen Sinne: Von nun an würde ich für den Rest des Jahres einen Großteil meiner Zeit damit verbringen, zu kochen. Ich wurde dafür bezahlt, in der Küche zu stehen und zu schnibbeln, raspeln, mixen, stampfen, würzen, braten, backen. Und um zu kosten natürlich.

Im vergangenen halben Jahr habe ich so meinen Schreibtisch und Computer ausgetauscht durch Herd, Pfannen, Messer, Ofen, um Rezepte für ein Kochbuch zu testen. Und klar, das alles hatte auch seinen Reiz, den Zauber des Neuen. Überhaupt bin ich durchaus ein Genießer, jemand, der gerne kocht, isst und trinkt. Aber Kochen und Kosten als Tagesinhalt, als Kerntätigkeit?

Anzeichen des Alters

In diesen Anfangstagen, ich gebe es zu, beschlich mich häufiger das Gefühl, ich würde meine Zeit verschwenden. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen. Eigentlich müsste ich mich doch in eine wissenschaftliche Studie vertiefen, lesen, recherchieren, ein Forschungslabor besuchen, Zahlen analysieren, Zeilen tippen. Irgendetwas Produktives tun, herrje, irgendetwas von Bedeutung!

Erst mit den Wochen, die ins Land gingen, erst im Laufe jener langen Nachmittage und Abende, an denen meine zunächst kümmerlichen Fähigkeiten in der Küche allmählich zunahmen, die Handgriffe sicherer wurden, wuchs auch meine Wertschätzung für das, was ich da tat. Und meine Vorstellung vom Kochen wandelte sich.

C.Bertelsmann, 224 Seiten, 22,70 Euro
C.Bertelsmann, 224 Seiten, 22,70 Euro © (c) Frank/C.Bertelsmann

Ich hätte ja überhaupt nie gedacht, dass ich je an einem Kochbuch mitwirken würde. In diese ganze Welt bin ich eher unfreiwillig hineingestolpert: Vor fünf, sechs Jahren, ich war Anfang 40 und kurz zuvor Vater geworden, überraschte mich mein Körper mit den ersten Altersanzeichen. Ich bekam Herzprobleme, und irgendwann musste ich beim Joggen mit einem massiven Stich in der Brust stehenbleiben, besser gesagt: Ich wurde stehengeblieben. Es war, als hätte mein Herz die Notbremse gezogen.

Junkfood

Mir war klar, etwas musste sich ändern, und da ich mich bis dahin vor allem von Junkfood ernährt hatte, lag es nahe, es auch einmal mit einer Ernährungsumstellung zu versuchen. Was ich tat, ohne allzu große Erwartungen. Aber was dann geschah, hat mein Leben verändert: Ich fühlte mich erstaunlich schnell besser, und auch die Herzbeschwerden klangen ab, bis sie – das allerdings sollte Monate dauern – irgendwann ganz verschwunden waren.

Überrascht, beeindruckt von dem, was ich erfahren hatte, fing ich an zu recherchieren, vertiefte mich in die Materie, auf der Suche nach den Zutaten einer optimal gesunden Ernährung. Schließlich schrieb ich nieder, was ich gelernt hatte, das Destillat meiner Erkenntnisse, das Buch Der Ernährungskompass – das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung.

Wo sind die Rezepte?

Prompt folgte die nächste Überraschung: Das Buch wurde zu einem der meistverkauften Sachbücher des vergangenen Jahres, und in der Folge konnte ich mich nicht über Post beklagen. Dabei tauchte eine Frage immer wieder auf: Wo sind die Rezepte? Im Ernährungskompass hatte ich geschrieben: Der erste Schritt zu einer gesunden Ernährung liegt darin, sich vom stark verarbeiteten Pseudo-Essen der Lebensmittelindustrie zu verabschieden und zu ursprünglichem, naturbelassenem, zu echtem Essen zurückzukehren.

Bas Kast und sein geliebtes Olivenöl
Bas Kast und sein geliebtes Olivenöl © Mike Meyer/C.Bertelsmann

Es gibt Regionen auf dieser Welt, wo die Menschen auf auffallend fitte Weise ein besonders hohes Alter erreichen. Ein Beispiel ist die japanische Inselkette Okinawa mit ungewöhnlich vielen Hundertjährigen. Ein anderes ist eine protestantische Gemeinschaft namens Siebenten-Tags-Adventisten in den USA, sie leben teils bis zu zehn Jahre länger, als ein Durchschnittsamerikaner. Menschen in diesen sogenannten „Blauen Zonen“ pflegen total unterschiedliche Esskulturen, eins jedoch haben sie alle gemeinsam: Sie ernähren sich noch auf ursprüngliche Art und Weise. Mit anderen Worten: Sie kochen noch selber. Mit Zutaten aus der Natur statt der Industrie.

Ich hatte meine Leser also zum Selberkochen angeregt, nur was die Rezepte betrifft, da hatte ich sie im Stich gelassen, und das sollte jetzt, wie mein Verlag meinte, mit einem Kochbuch nachgeholt werden. Warum hatte ich eigentlich nicht gleich ein paar Rezepte mitgeliefert? Es lag nicht bloß daran, dass ich schlicht kein Koch und kein Rezeptentwickler bin. Es geschah wohl auch aus einer falschen Überheblichkeit heraus: Rezepte, von mir? Ich bin Sachbuchautor. Ich bin für Studien und Statistiken zuständig. Sollte ich mich – ernsthaft jetzt? – auf das Niveau geschnibbelter Zwiebeln hinabbegeben?

Fertigprodukte

Mittlerweile denke ich anders darüber. Zur Entschuldigung kann ich vielleicht vorbringen, dass ich auch nur ein Kind unserer Kultur bin, und historisch betrachtet war das Kochen bekanntlich keine allzu angesehene Sache, im Gegenteil. Nicht von ungefähr verrichteten Frauen diese stille, unspektakuläre, unbedeutende Arbeit, während Männer die „richtige“ Arbeit übernahmen. Nicht umsonst war es ein Anliegen des Feminismus, die Frau vom Herd zu befreien. Und dazu hat die Lebensmittelindustrie mit ihren Fertigprodukten entschieden beigetragen.

Einst war die Küche dieser rein private Raum – was darin verrichtet wurde, wirkte sich nicht viel weiter aus, als bis zum Esszimmer, doch das hat sich geändert. Heute ist die Küche zu einem Ort geworden, an dem wir alle täglich die Möglichkeit haben, an den Zahnrädern dieser Welt zu drehen. Nicht durch Reden oder Teilnahme an einer Demo, sondern durch Handeln. Nur im Kleinen, sicher, auf ganz bescheidene Weise, aber doch: Die Schürze ist für mich zu einer Art Gelbweste der Tat geworden. Was man isst, wirkt sich auf diese Welt aus.

Linsenbolognese mit Zucchininudeln
Linsenbolognese mit Zucchininudeln © Mike Meyer/C.Bertelsmann

Hier nur ein einfaches Beispiel: Die Züchtung von Rind und Lamm ist nicht lediglich Teil einer ethisch fragwürdigen – ich würde sogar sagen: kriminellen – Massentierhaltung, sondern verursacht darüber hinaus einen Ausstoß von Treibhausgasen, der pro Gramm Eiweiß (wir brauchen unbedingt Eiweiß zum Überleben) das 250-fache dessen beträgt, was beim Anbau von Hülsenfrüchten, wie etwa Linsen, anfällt.

Ob ich abends Rinderrouladen oder eine Linsensuppe oder Spaghetti mit Tomatensoße zubereite, macht tatsächlich einen Unterschied. Ein Pfund Rind sorgt für eine 17-mal erhöhte Wasserverschmutzung im Vergleich zu einem Pfund Nudeln. Wenn ich mich für Obst und Gemüse entscheide, das nicht gerade einen Interkontinentalflug hinter sich hat, hat diese Entscheidung auch eine konkrete ökologische Konsequenz.

Vielleicht noch wichtiger aber als diesen winzigen, wenn auch messbaren Einfluss auf die Umwelt, den wir über unsere Ernährung haben, ist die Macht, die wir über uns selbst, unseren eigenen Körper, unsere Gesundheit und damit unser Schicksal im Alter gewinnen. Nicht zuletzt mit dem Siegeszug der Fertigprodukte kam auch die Übergewichtsepidemie in die Welt.

Vollgestopft mit Zucker

Stark verarbeitete Nahrungsmittel der Industrie sind typischerweise vollgestopft mit Zucker, Salz und sonstigen Zusatzstoffen, deren Namen an ein kryptisches Chemielexikon erinnern und die uns krank machen. Andererseits fehlen oft sättigende Eiweiße und Ballaststoffe, so dass wir uns systematisch überfressen. Wer selber kocht, mit hauptsächlich frischen Zutaten, umgeht dieses Problem weiträumig. Selber zu kochen löst auf einen Schlag grob geschätzt 80 Prozent aller Ernährungsprobleme, die wir haben.

Aber selber zu kochen bereichert uns auch auf unmittelbare Weise. Mal ganz abgesehen davon, dass die Gerichte, mit etwas Übung, einfach besser schmecken, führt uns der Akt des Kochens für einen Moment zurück in jene archaische Welt, der wir entstammen, eine Welt, die uns noch in den Knochen steckt. Zu einer Zeit, als wir lernten, das Feuer zu bändigen und anfingen, rohe Natur in Gekochtes, in Gerichte, in Kulturgut zu verwandeln.