Auf dem Fußweg zu Ihrem Büro habe ich Musik gehört, den Weg navigiert und meine Mails gelesen, alles gleichzeitig. Was habe ich meinem Gehirn angetan?

BERND HUFNAGL: Nichts! (lacht) Es ist ein großer Irrglaube, dass wir überhaupt nicht „multitasken“ können. Wir können es nur nicht bei bewussten Aufgaben. Wir müssen differenzieren: Selbstverständlich können wir gehen und telefonieren gleichzeitig. Es erhöht die Verkehrssicherheit zwar nicht, aber Sie können es.

Was ist der Unterschied zum Multitasking im Büro, wenn man versucht, die Mailflut unter Kontrolle zu halten und nebenbei noch 27 Telefonate beantwortet?

HUFNAGL: Was Sie nicht können, ist, mir zuhören und gleichzeitig einen völlig anderen Text auf Ihren Block schreiben. Das Gehirn versucht verzweifelt, beides hinzukriegen, das funktioniert aber nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander. Das Gehirn hüpft von einem Aufmerksamkeitspunkt zum nächsten. Dieser Versuch des Gleichzeitigen macht Menschen fertig. Denn: Der Versuch wird scheitern, kostet Energie und führt zu Fehlern. Wenn wir in diesem Modus arbeiten, brauchen wir 60 Prozent mehr Zeit und machen 40 Prozent mehr Fehler.

Warum tun wir es dann?

HUFNAGL: Die Ursache ist der Leistungsdruck und die Angst vor dem Versagen. Diese Angst wiederum wird durch Globalisierung und Digitalisierung befeuert. Durch die Digitalisierung sind Dinge in einer viel schnelleren Geschwindigkeit möglich. Und: Durch die Globalisierung arbeiten mehrere Menschen gleichzeitig an einem Produkt. Daraus entsteht Druck und Angst. Wir versuchen, Dinge gleichzeitig zu tun, weil wir durch die innere Getriebenheit den Beruhigungsmodus anstreben.

Beruhigung durch Getriebenheit - wie soll das gehen?

HUFNAGL: Das bedeutet, dass wir nur so lange an einer Aufgabe arbeiten, bis wir uns beruhigt haben - dann arbeiten wir woanders weiter. Im Schnitt arbeiten wir nur elf Minuten am Stück an einer Tätigkeit. Ein Teil des Gehirns ist sich immer all der Dinge gewahr, die Sie noch erledigen müssen, und Sie verspüren Angst, nicht rechtzeitig fertig zu werden. Daher arbeiten Sie so lange an dieser Aufgabe, bis diese Angst weg ist. Und dann steigt wieder die Bereitschaft, sich ablenken zu lassen.

Bernd Hufnagl, Neurobiologe. Buch: „Besser fix als fertig“
Bernd Hufnagl, Neurobiologe. Buch: „Besser fix als fertig“ © kk

Doch wir sehen das nicht nur im Berufsleben: Auch abends, auf der Couch, läuft nicht nur der Fernseher. Gleichzeitig hat man das Handy in der Hand, textet mit Freunden oder scrollt sich durch Social-Media-Seiten. Übertragen wir die Fahrigkeit vom Arbeitsplatz aufs Privatleben?

HUFNAGL: Ja, das Gehirn lernt bestimmte Verhaltensweisen. Daraus ergeben sich zwei Folgen: Erstens wird Ihnen ständig langweilig, wenn Sie nur eine Sache tun. Viel schlimmer ist aber die zweite Konsequenz: Wenn wir viel Arbeit leisten, produzieren wir eigentlich das Belohnungshormon Dopamin. Wenn wir durch die vielen Aufgaben aber das Gefühl haben, wir werden nie fertig, bleibt auch die Belohnung aus. Wir haben aber eine Hintertür geschaffen, die Hintertür des Shoppens, des Medienkonsums, des Ablenkens. Das ist fatal, denn wenn die Anstrengung vom Lustgewinn entkoppelt wird, ist Arbeit nur noch anstrengend und nicht mehr belohnend. Die gute Stimmung bekommen wir dann nur noch durchs Konsumieren. So entsteht gefährliches Suchtverhalten.

Welche Auswirkungen kann der Versuch des „alles gleichzeitig“ haben?

HUFNAGL: Es gibt Nebenwirkungen: Sie unterhalten sich mit jemandem und während der andere spricht, denken Sie schon an etwas ganz anderes. Wir tun uns immer schwerer, zuzuhören oder Bücher bis zum Ende zu lesen. Wir sehen auch immer mehr Fälle von ADHS-ähnlichen Symptomen bei Erwachsenen. Ich treffe Manager, die können nicht mehr ruhig sitzen und können nicht mehr aufmerksam zuhören.

Sie propagieren in Ihren Vorträgen das Tagträumen: Warum ist das so wichtig?

HUFNAGL: Durch die permanente Überforderung verlernen wir, loszulassen. Wir steigern uns rein, dramatisieren, schimpfen. Es bleibt keine Zeit mehr, die Gedanken ohne Ziel laufen zu lassen. Doch dieses Tagträumen ist so wichtig, da wir nur in diesem Zustand von außen auf unser Leben blicken können. Habe ich den richtigen Partner? Was mache ich mit meinem Geld? Welche Meinung vertrete ich?

Wie können wir das Tagträumen wieder ins Leben bringen?

HUFNAGL: Achtsamkeit ist der Schlüssel: Das kann man durch Entspannungstechniken erreichen oder Sie machen Sport oder Musik. Selbst Rasenmähen kann entspannend sein.