Die Medizin macht den Menschen Hoffnung wie nie zuvor: Der Krebs könne bald besiegt werden, 100 Antikörpertherapien seien in der Pipeline. Wann werden wir den Krebs definitiv besiegen?

Jan Oliver Huber: Es werden deutlich mehr Menschen geheilt als vor 20 Jahren, aber Krebs ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen. Es gibt Hoffnung bei den Behandlungsformen. Die Zukunft sollte Richtung Genmedizin gehen, das wird individuellere Therapien zulassen.

Gerhard Kobinger: Eine Prognose kann man nicht stellen, weil es nicht "den" Krebs gibt. Krebs kann im Krankheitsverlauf gelindert werden, manche Therapien können heilen. Aber eine Euphorie ist nicht angebracht: Von 10.000 Medikamenten in der Probephase schafft es nur eines zur Serienreife. Von der Patentierung bis zum Markteintritt sind es zehn bis zwölf Jahre - wir werden noch warten müssen.

Rudolf Likar: "Vieles wurde verbessert, aber den Menschen Illusionen zu machen, ist falsch. Und wir unterliegen ja auch einem ökonomischen Druck: Wie teuer sind die neuen Medikamente, was bringen sie? In der Politik heißt es immer, wir haben keine Zwei-Klassen-Medizin: Aber ich behaupte, genau dann, wenn diese Therapien in großer Zahl kommen, dann haben wir die Zwei-Klassen-Medizin. Es könnten Diskussionen kommen, ob es etwas bringt, wenn man mit viel Geld eine um drei Monate höhere Lebenserwartung erreicht.

Werden die steigenden Kosten das Gesundheitssystem kippen?

Huber: Warum versucht die Politik nicht in einem gesellschaftlichen Grundkonsens diese Frage zu beantworten: Was ist uns die Gesundheit wert? Wir versuchen mit der Infrastruktur von gestern die Herausforderungen von übermorgen zu bestreiten. Es geht ja nicht nur um medikametöse Therapien, es geht um die großen Zusammenhänge: Es ist gesetzlich festgelegt, dass der Spitalsbereich Länderkompetenz ist, die niedergelassenen Ärzte von der Sozialversicherung bezahlt werden und 34 Prozent der Gelder der Sozialversicherungsträger ungeprüft in die Länder fließen. Mit diesem Geld wird nicht Gesundheitspolitik gemacht, sondern Beschäftigungs- und Wählerpolitik.

Likar: Wir werden auch das Patientenverhalten diskutieren müssen: Konsumieren, weil eingezahlt wurde, das wird so nicht mehr möglich sein. Ein Beispiel: Wir haben mit den tageschirurgischen Eingriffen erst eine Rate von zehn Prozent bei allen Operationen erreicht - die Skandinavier liegen bei 30 Prozent. Und man muss Strukturen draußen aufbauen: Wenn ich einen Patienten entlasse, finde ich fast keinen niedergelassenen Facharzt, der über die Kernzeit hinaus arbeitet.

Kobinger: Wir haben keine Kostenexplosion, sehr wohl aber eine Leistungsexplosion. Aber man muss sich das vor Augen halten: 2500 Euro gibt jeder Österreicher für die Gesundheit aus, dazu 500 Euro aus der privaten Tasche. Aber im Schnitt 6000 Euro für das Auto. Der gelernte Österreicher fragt: Wer ist zuständig für meine Gesundheit? Den wenigsten fällt ein, dass sie auch selbst verantwortlich sind.

Huber: Warum auch? Dem Österreicher wurde immer gesagt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Nicht um deine Pension, nicht um deine Gesundheit. Die Bevölkerung wurde dazu erzogen, brav Steuern zu zahlen und nichts zu hinterfragen - so geht das heute aber nicht mehr. Überspitzt formuliert: Vielleicht sollten wir unseren Kindern weniger über Bienen beibringen und mehr darüber, was für unseren Körper gesund ist. Die Politik muss das umsetzen.

Likar: Aber was passiert in der Schule? Genau das Gegenteil, sogar die Turnstunden werden gestrichen. Wir sollten bei der Vorsorgeuntersuchung ein Bonussystem einführen, wie beim Mutter-Kind-Pass.

Huber: Da bin ich bei Ihnen: Wenn die Leute Geld dafür bekommen, dass sie die Vorsorge machen, dann wäre ein Anreiz da.