"Scharfer Tabak" für die österreichischen Verantwortungsträger. Ein Gutteil der 1,5 bis 1,7 Millionen Patienten mit chronischen Schmerzen leidet ohne optimale Versorgung. Der Grund - so Experten der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) am Montag aus Anlass ihrer 21. Wissenschaftlichen Tagung (9. bis 11. Mai/Klagenfurt): Es gibt keine konzeptionelle, flächendeckende Versorgung vom niedergelassenen Arzt bis zur spezialisierten (Tages-)Klinik.

Wann schmerzmedizinische Behandlung?

"In Österreich ist es vollkommen dem Zufall und dem Patienten überlassen, wann er zu einer ausreichenden schmerzmedizinischen Behandlung kommt. Das können zwei Jahre sein, das können zehn Jahre sein", sagte Hans-Georg Kress, Präsident der Europäischen Schmerzföderation (EFIC) von der Klinischen Abteilung für Anästhesie und Schmerztherapie am Wiener AKH. Es fehle an flächendeckenden Strukturen. Der Experte: "Es gibt solche Konzepte in Großbritannien, in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden. Wir müssen solche Strukturen schaffen. Da hat die Politik versagt."

Die Zahlen sind erschütternd: Zwischen 1,5 und 1,7 Millionen Österreicher leiden an chronischen Schmerzzuständen. Der EFIC-Präsident: "Die direkten (medizinischen Kosten, Anm.) für chronische Schmerzpatienten betragen im Jahr in Österrech 1,4 bis 1,8 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten (mit Arbeitsausfällen, etc.) betragen an die sechs Milliarden Euro. 30,4 Prozent der Invaliditätspensionen und 18 Prozent der Berufsunfähigkeitspensionen sind in Österreich durch Erkrankungen des Bewegungsapparates bedingt. Etwa 4.500 Neupensionierungen pro Jahr sind auf chronische Rückenschmerzen zurückzuführen. Dabei liegt die Erwerbsquote der 55-bis 64-Jährigen in Österreich mit 42 Prozent im EU-Vergleich ohnehin relativ gering."

Bessere Ausbildung notwendig

Was laut den Fachleuten notwendig wäre: Vermehrte Ausbildung von niedergelassenen Ärzten für Diagnose und Therapie von Schmerzpatienten, niedergelassene Fachärzte in diese Bereich, spezialisierte Ambulanzen und multimodal arbeitende (Tages-)Kliniken. Laut Rudolf Likar, Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie am Klinikum Klagenfurt, und Kress wird ein von der Gesundheit Österreich GmbH fertig ausgearbeitetes Konzept dazu seit sechs Jahren negiert. Likar: "Wenn die Patienten in mein Zentrum kommen, ist der Karren schon längst abgefahren. Der Prozess beginnt acht Jahre früher." Nur durch frühe und wirkungsvolle Intervention könne ein Chronifizierung von Schmerzzuständen verhindert werden.

Chronischer Schmerz kostet die Volkswirtschaften der EU laut entsprechenden Berechnungen pro Jahr 300 Milliarden Euro. Allein 500 Millionen verlorene Arbeitstage summieren sich auf 34 Milliarden Euro pro Jahr. 19 Prozent der Patienten mit solchen schweren Beschwerden sind arbeitslos. Allein Rückenschmerzpatienten kommen pro Jahr im Durchschnitt auf 41 Krankenstandstage. Ein Drittel dieser Menschen benötigt im Durchschnitt pro Jahr 65 Tage Unterstützung durch Angehörige.

Das Thema sollte auch in der aktuellen Gesundheitsreform eine Rolle spielen. Likar: "Bei der Gesundheitsreform müssen wir darauf schauen, dass wir den Schmerz als Thema in der Bundeszielkommission ausreichend positionieren." Ein Problem sei auch die Ablehnung der Erstattung von immer mehr dringend benötigten modernen Analgetika durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Der Klagenfurter Experte: "Ich erwarte mir vom Hauptverband nicht nur eine generelle Ablehnung. Generelle Ablehnungen erfordern keine Intelligenz." Das habe ein Land wie Österreich nicht nötig.

Es gibt auch neue medizintechnische Methoden, um schwerste Schmerzzustände unter Kontrolle zu bekommen: zum Beispiel kleine, implantierte Geräte, die über elektrische Impulse am Rückenmark die Schmerzleitung unterbrechen. Die neusten Geräte erlauben sogar weiterhin Magnetresonanztomografie-Untersuchungen, quasi der Standard in der bildgebenden Diagnostik der Wirbelsäule.