Die Erfahrung, dass ein geliebter Mensch stirbt, gehört zum Leben. Dennoch würde man sie gerade Kindern und Jugendlichen gerne ersparen. Oder zumindest auf irgendwann später verschieben. Denn ihre Trauer geht tief – und ist trotzdem oft schwer zu erkennen. „Kinder trauern ganz anders als Erwachsene. Viel sprunghafter. Oft sind sie in einem Moment tieftraurig, zwei Minuten später wieder quietschvergnügt. Das vermittelt den Eindruck, als gehe es ihnen eh gut.“ Das erzählt Elke Kohl, Trauerbegleiterin aus St. Pölten, die vor allem mit betroffenen Kindern und Jugendlichen arbeitet. Ihr Credo, auf das sie im Lauf dieses Gesprächs immer wieder zurückkommen wird, heißt: In der Trauer darf erst einmal alles sein. Wut, Zorn, Traurigkeit und auch echte Sch...tage. „Schwierige Trauerzeiten brauchen ganz einfache Dinge“, erklärt Kohl und erinnert sich an Lilly, ein Mädchen, das mit zwölf Jahren seine Schwester durch einen Autounfall verloren hatte. „Sie wurde oft richtiggehend von ihrer Wut überwältigt, hat auf Wände und manchmal sogar auf ihre Eltern eingeschlagen.“ Kohl half ihr, die Wut in einem für sie geeigneten Rahmen auszuleben: „Ab dann zerriss Lilly Zeitungspapier, wenn der Druck zu groß wurde.“ Mit dem Schreiben eines Erinnerungsbuches lernte sie, ihren Trauerschmerz bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren.

Elke Kohl ist Kindertrauerbegleiterin
Elke Kohl ist Kindertrauerbegleiterin © (c) Dieter Kulmer

Generell ermutigt die Expertin Trauernde, sich dieser Phase nicht tatenlos auszuliefern, sondern sie aktiv zu gestalten. Mit Abstrichen ganz am Anfang: „Da geht es schlicht darum, zu überleben und den Alltag einigermaßen zu bewältigen. Und Fakt ist auch: Die Trauer um einen geliebten Menschen ist nicht in ein paar Wochen erledigt. Da muss immer wieder und über eine lange Zeit hinweg eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen stattfinden.“ Ohne Geduld kommt man nicht weiter. Besonders bei jungen Trauernden sind Menschen wichtig, die sie mit Langmut begleiten und die teils heftigen Emotionen auch aushalten. Und zwar dauerhaft. „Einfach da sein, zuhören, sie ermutigen, ihre Gefühle zu empfinden und ihnen Ausdruck zu verleihen“, das seien ganz banal klingende, aber essenzielle Methoden. Der ganz eigene Weg spielt auch inmitten dieser Verlusterfahrung eine große Rolle. Ungeachtet von Konventionen sollten junge Trauernde den Mut entwickeln, viel von dem zu machen, was tröstet und den Schmerz lindert. Elke Kohl erinnert sich an zwei junge Frauen, deren Schwägerin durch eine heimtückische Krankheit ihr Leben verlor. „Ihnen war es ein Bedürfnis, viel Zeit am Grab zu verbringen. Sie sind dort mit der Gitarre gesessen und haben für ihre Schwägerin musiziert und gesungen, mitten am Friedhof.“ Sie hielten sich nicht auf mit Fragen wie: Was werden die Leute denken? Die Expertin hat oft beobachtet: „Es tut gut, den eigenen Weg der Trauer zu gehen. Denn den Leuten kann man es sowieso nie recht machen. Für den einen trauert man zu wenig, für den anderen zu viel.“

Gefühle nicht zu spielen, andererseits aber auch nicht wegzudrücken, darum geht’s. Ein offener Umgang mit dem Todesfall in der Schule kann jungen Menschen einen enormen Druck nehmen. Gegen „Warum ausgerechnet ich?“-Fragen helfen Treffen mit anderen betroffenen Kindern und Jugendlichen. „So entwickeln sie ein Bewusstsein dafür, dass sie nicht die Einzigen sind, denen so etwas passiert. Das kann sehr heilsam sein“, sagt Kohl.

Nach der schwärzesten ersten Phase sei gerade für Kinder kreatives Gestalten wichtig, um der Trauer einen sichtbaren Kanal zu verschaffen. „Das Erinnerungsbuch bekommen viele hinterbliebene Kinder heute sowieso geschenkt. Dort können sie mit Texten, Zeichnungen oder Basteleien ihrer Trauer Ausdruck verleihen.“ Und schließlich auch festhalten, wenn sich wieder Positives in ihrem Leben manifestiert. Denn auf schlimme Stunden folgen manchmal schöne, und mit der Zeit werden die wieder häufiger. „Es kann helfen, sich das bewusst vor Augen zu führen, etwa in Form eines Tagebuches.“ Elke Kohl fällt dazu Maria ein, eine Jugendliche, die nach dem überraschenden Herztod ihrer Mutter in ihrem Tagebuch viel mit Farben gearbeitet hat, um ihre Gefühle auszudrücken: „Anfangs waren die Seiten durchwegs schwarz und dunkelblau, nach einiger Zeit aber mischten sich öfter auch Pink und Orange darunter.“

Zuversicht auszustrahlen, dass die Tage ganz langsam, aber sicher wieder heller werden, sei wesentlicher Teil einer Trauerbegleitung. Denn in jeder Trauerphase gibt es stets auch ein Gegenmittel: „Schmerz braucht das Heilsame, Schwere braucht Leichtigkeit, die Schonungslosigkeit des Schicksals braucht Rücksicht.“ Letztlich wird die frühe Verlusterfahrung zu einem Lebensabschnitt, der weit in die Zukunft eines jungen Menschen hineinwirkt. Elke Kohl formuliert es so: „Wenn man früh so intensiven Schmerz erleben musste, kann man irgendwann auch Glück stärker empfinden. Ich sage immer: Am Ende einer Trauer lebt man mehr. Und tiefer.“