Der Schmäh rennt, wenn Markus Lipp und sein Sohn Arian sich gegenüber sitzen: „Deine grauen Haare hast du nur wegen mir“, sagt Arian und lacht. „Das stimmt. Davor waren sie schön blond und jetzt ...“, antwortet Markus schmunzelnd. Hier gilt: Wie der Vater, so der Sohn. Denn dieses alte Sprichwort nistet sich unweigerlich im Kopf ein, wenn man sich mit Markus und Arian unterhält. So sehr wie sich der Humor und die Verhaltensweisen der beiden gleichen, würde man keinen Moment lang daran zweifeln, dass hier auch Blutsverwandtschaft vorliegen muss.

Nach Österreich geflüchtet

Die Dynamik zwischen den beiden wirkt auf eine liebevolle – manchmal stichelnde – Art, als wäre sie seit Jahrzehnten gewachsen. Doch so lange sind der 25-jährige Arian und der 47-jährige Markus noch gar nicht Vater und Sohn. Arians Leben begann weit weg im Iran. Als er 18 Jahre alt war, konnte er aus familiären Gründen dort nicht mehr bleiben. Eine unvorstellbare Odyssee endete für den jungen Mann damals in Wien: „Ich wusste nicht einmal, dass Österreich existiert, bis ich plötzlich dort war“, scherzt er heute darüber.

Und in diesem unbekannten Land hatte der Zufall wohl einen Plan mit Arian. In einem Flüchtlingsheim traf er auf Markus. Dieser kam damals immer wieder dort vorbei, um mit den Menschen Karten zu spielen und ein wenig beim Deutschlernen zu helfen. Als Arian Markus bat, ihm bei der Wohnungssuche zu helfen, begannen die beiden, sich auch außerhalb des Heimes zu treffen – ein paar Monate später zog Arian bei Markus ein.

„Das war nichts, was geplant war. Es war nicht so, dass ich mir gedacht habe: ,Ich habe ein freies Zimmer und möchte einen Flüchtling aufnehmen.’ Aber bei Arian war es einfach so, dass ich mich von Anfang an irgendwie für ihn verantwortlich gefühlt habe“, so Markus.

Unzertrennlich: Markus und Arian
Unzertrennlich: Markus und Arian © Christoph Kleinsasser

Dass hinter diesem Gefühl des Verantwortlichseins eigentlich väterliche Gefühle steckten, wurde schon nach ein paar Monaten des Zusammenlebens klar: „Wir haben uns unterhalten und erkannt, dass es sich für uns beide wie eine Vater-Sohn-Beziehung anfühlt“, so Markus. „Ja, es war einfach so, wie zwischen Sohn und Papa“, bestätigt Arian.

Kulturelle Missverständnisse

Wie in jeder Eltern-Kind-Beziehung kam es auch zwischen den beiden von Zeit zu Zeit zu Missverständnissen: „Bei uns waren diese häufig kultureller Art. Wir sind einfach beide ganz anders aufgewachsen“, erzählen sie. So wunderte sich Markus eines Tages, dass er von Arian nie persönliche Fragen gestellt bekam. „Das stimmt, ich wusste ein Jahr lang nicht, was er arbeitet“, sagt Arian und lacht.


Der Hintergrund: Arian hatte in seinem bisherigen Leben eine ganz andere Art von Höflichkeit gelernt als Markus. Für ihn galt es als sehr unhöflich, Leute persönliche Dinge zu fragen – während Markus seinen Ziehsohn ausfragte, um mehr über ihn zu erfahren und Interesse zu bekunden. „All diese Dinge haben bei uns aber nie zu einem richtigen Konflikt geführt, weil wir solche Dinge ansprechen.“

Eine große Familie

Auch in der übrigen Familie wurde Arian mit offenen Armen willkommen geheißen: „Die Beziehung zwischen meinen Eltern und Arian ist seit Anfang an einfach wie zwischen Großeltern und Enkelsohn. Das ist nichts, was jemals großartig besprochen worden ist, das hat sich einfach ganz natürlich so ergeben.“ Zu seiner Mutter und Oma im Iran hat Arian nach wie vor Kontakt. Und auch sie scheinen diese neue Familiensituation angenommen zu haben: „Wenn meine Mama mich anruft, fragt sie nicht: ,Wie geht es Markus?’, sondern ,Wie geht es deinem Papa?’“, so Arian.

Mittlerweile ist Arian nach fünf Jahren des Zusammenlebens wieder bei Markus ausgezogen. Der Kontakt ist dennoch eng: „Wir telefonieren jeden Tag und sehen uns rund zweimal die Woche. Allerdings bin ich öfters bei ihm zu Besuch, als er bei mir“, sagt Arian. „Ja, weil ich schon so alt und gebrechlich bin“, ergänzt Markus mit einem Augenzwinkern.

Adoption folgt 

Markus und Arian ist es wichtig, diese besondere Beziehung, die sie beide spüren, auch irgendwann amtlich zu machen: „Ich möchte Arian adoptieren. Denn ich will, dass das, was wir als innere Beziehung haben, auch nach außen getragen wird.“ Warten müssen die beiden dafür noch, bis Arian die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt – erst dann ist die Erwachsenenadoption möglich. Wenn es so weit ist, möchte Arian auch Markus’ Nachnamen annehmen. „Rechtliche Vorteile gibt es durch die Adoption keine“, erklärt Markus. „Außer, dass ich irgendwann deine Schulden erbe“, kontert Arian lachend. Der Humor wurde scheinbar schon vorab vererbt.