Im Jahr 2016 verstirbt Ihr Partner. Noch am selben Tag verleihen Sie – damals 23 – Ihrer Trauer online Ausdruck. Das mediale Echo war enorm. Sie hatten einen gesellschaftlichen Nerv getroffen.

Jaqueline Scheiber: Ich glaube, dass ein Bedarf bestand. Niemand hat wirklich darüber gesprochen, wie es ist, als junger Mensch mit Tod und Trauer konfrontiert zu sein. Dann ist allerdings ein Schneeballsystem ins Rollen gekommen. Plötzlich habe ich mich als Gesicht der jungen Trauer wiedergefunden. Das wollte ich aber nicht sein. Weil ich sehr unerfahren im Umgang mit Medien war, musste ich mich erst einmal aus dem herauswinden. Auch, um meinen eigenen Trauerweg zu finden.

Gleichzeitig haben Sie mit der Vorstellung gebrochen, wie sich ein trauernder Mensch zu verhalten hat. Sie schreiben: „Ich bin nicht dafür gemacht, meine Wunden still und heimlich zu lecken.“

Das Erlebte in meinem überschaubaren Radius zu teilen, war ein Impuls. Ich habe nicht gewusst, wie ich es anders hätte machen sollen. Daraus hat sich dann dieses Trauerselbstbewusstsein entwickelt. Vor allem in der Selbsthilfegruppe und dem „Young Widowers Dinner Club“. Dort habe ich mir gemeinsam mit anderen Betroffenen die Absolution erteilt, frei mit unserem Trauerweg umzugehen. Es ist spannend, dass man meistens von außen noch eine Bestätigung braucht. Aber als ich gesehen habe, dass andere Menschen ähnliche Impulse haben, konnte ich zu meinem Umgang mit dem Thema stehen.

Wir Menschen scheuen den Umgang mit Trauernden. Warum sind wir in dieser Beziehung so hilflos?

Wir haben nie gelernt, mit Trauer konfrontiert zu sein. Traditionen, die in den letzten hundert Jahren mit dem Tod in Verbindung standen, sind gewichen. Früher hat man Tote in Zimmern aufgebahrt und es gab eine Woche lang Besuche von Angehörigen. Dem ist nichts Gleichwertiges nachgerückt. Das Leben wurde drübergestülpt und der Rest außer Acht gelassen.

Das Leben hat sich mittlerweile in den digitalen Raum ausgebreitet. Sie waren ein junges Mädchen, als das Internet Einzug hält. In Ihrem Buch schreiben Sie über das frühe Bedürfnis, sich in diesem digitalen Raum darzustellen – um Aspekte auszuleben, die im „engen Raum eines burgenländischen Dorfes keinen Platz finden“. Was ist damit gemeint?

Wir sind damals viel umgezogen. Und ich habe viel Ausgrenzung und Ablehnung erfahren. Das Buch erzählt, dass ich mich nirgends so richtig verorten konnte. Viele Sachen wurden totgeschwiegen, es gab wenig Raum, sich auf einer kreativen Ebene expressionistisch auszuleben. Das Erste, worüber ich mich im Internet ausgetauscht habe, war das Thema Depressionen. Es gab eine Zeit, wo ich fast ein Jahr auf Krücken war. Das heißt, ich hatte keine gesellschaftliche Teilhabe. Gleichzeitig haben meine Schulkollegen angefangen auszugehen. Und ich saß zu Hause an meinem Computer und habe versucht, das zu kompensieren.

Früher war das Internet Ihr Fenster nach außen. Heute ist es umgekehrt. Andere schauen Ihnen durch dieses Fenster zu. Wie haben Sie gelernt, einen Umgang mit diesem paradoxen Nähe-Distanz-Verhältnis zu finden?

Das hat sich aufgebaut. Früher habe ich Dinge viel ungefilterter geteilt. Ich hatte kein Bewusstsein dafür und konnte mich in der Anonymität verstecken. Heute denke ich viel darüber nach, was ich öffentlich mache. Im Internet ist alles sehr unmittelbar. Man bekommt sofort eine Reaktion. Hat man zu viel geteilt, merkt man schnell, wie sich fremde Menschen ins eigene Privatleben „hineinsetzen“. Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand an der Hand nimmt und sagt: Dein jugendliches Ich würde ein wenig Privatsphäre ganz gut finden.

Sie schreiben, dass nicht jede Krise eine Chance sei. Setzen wir Menschen uns unter Druck, wenn wir attestieren, dass am Ende jeder schwierigen Phase ein positiver Erkenntnisgewinn wartet?

Ich glaube nicht, dass man durch schwere Schicksalsschläge automatisch näher an etwas heranrückt, was einer Erkenntnis oder einer Wahrheit gleicht. Das halte ich für Blödsinn. Könnte ich es mir aussuchen, hätte ich eine Weltreise gemacht und diese Erkenntnis auch gehabt. Meine Mutter hat ihr ganzes Leben an einem Licht am Ende des Tunnels festgehalten. Kurz nachdem mein Freund starb, hat sie während einer Autofahrt gesagt: „Ich habe gerade auch keinen Rat. Es ist einfach nur scheiße.“ Und das kann für Betroffene sehr erleichternd in der Verarbeitung sein. Es mag sein, dass manche aus Krisen einen Sinn ziehen. Aber man sollte Menschen die Wahl lassen, was sie aus ihren Schicksalsschlägen mitnehmen.

Offenheit. Jaqueline Scheiber. Kremayr&Scheriau. 112 Seiten, 18 Euro.
Offenheit. Jaqueline Scheiber. Kremayr&Scheriau. 112 Seiten, 18 Euro. © Kremayr&Scheriau

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