Ich habe immer gerne Partys geschmissen, aber seit ich Kinder habe, drücke ich mich, wo es geht. Vor allem essende Kinder bringen mich auf die Palme. Und da rede ich nicht von den kleinen. Sondern auch von den größeren, die schon Aufsätze schreiben und Flächen berechnen können. Die schon wissen müssten, dass die Schnitzerl nicht am Schnitzerlbaum wachsen.
Da ist diese Elfjährige, die sich seelenruhig ein Krügerl Bio-Orangensaft pur einschenkt, nach einem Schluck genug hat und alles stehen lässt. Das waren einmal fünf Bio-Orangen, für die sich ein alter, sizilianischer Baum ganze 18 Monate geplagt hat, will ich dem Kind sagen. Oder da ist der Geburtstagskuchen, der aussieht, als wäre er mit Dynamit gesprengt worden. He, da sind zwei Tafeln faire Bitterschokolade drin, will ich jammern, und fünf fette Bio-Eier! Respekt, bitte! Und erst die Pizza, an der herumgenagt und -gerissen wurde, als wären wilde Tiere am Werk gewesen! Keiner isst den Rand, ein bisschen was davon landet auf dem Boden.

Wo ist Greta, wenn ich sie brauche?

Hilfe! Mir macht es einfach keinen Spaß mehr, Kinder zu füttern, denen Essen so unheimlich wurscht ist!
Wer schimpft mit ihnen, wenn ich gerade nicht darf, weil ich eine liebevolle Gastgeberin sein muss? Wo ist Greta, wenn ich sie brauche?
Um eines klarzustellen: Den Kindern ist kein Vorwurf zu machen. Die können nicht anders, als durch Nachahmen von jenen zu lernen, die alles falsch machen: von uns.
Wir Eltern und Geschwister tragen die Hauptverantwortung, und natürlich die Medien mit ihren bunten Werbespots für Salz, Fett und Zucker, Zucker, Zucker. Immer, wenn wir aus Obst Sternchen und Bärchen ausstechen, wenn wir in Kochkursen „Gemüse verstecken“, wenn wir seufzend angebissene Würstel in den Mistkübel werfen, dürfen wir „auslöffeln“, dass wir und unsere Kinder nichts als den Nahrungsmittelüberfluss kennen, dass uns einfach Mangel und Hunger als Zuchtmeister für die Wertschätzung fehlen.
Die Kinder spiegeln nur unsere eigene privilegierte Beziehung zu Nahrungsmitteln wider. Schön langsam – der Bewegung „Fridays for Future“ sei Dank – ist die Ernährung endlich dort angelangt, wo sie hingehört: auf der Anklagebank. Denn beim Essen läuft vieles zusammen, was auf diesem Planeten schiefläuft.
Die einseitige, zuckerlastige und industrialisierte Ernährung, die ich in kritischen Zahlen wiederfinden wollte, gilt nicht als gestörtes Essverhalten, sondern wird als normal betrachtet. Nahrungsmittelunverträglichkeiten inklusive.

Wir reden von Werten - und meinen Kalorien

Keine drei Generationen hat es gebraucht, um die Kompetenz für Nahrungsmittel völlig zu verlieren. Statt der Beziehung zu den Pflanzen und Tieren, die wir essen, haben wir jetzt Beziehungen zu Marken und Diskontern, bei denen wir shoppen. Wertvoll sind jetzt das Geld und die Inhaltsstoffe, und nicht die Zeit, der Boden, die Arbeit, das tierische oder pflanzliche Leben, das letztendlich in jedem Lebensmittel steckt. Wie lange braucht so ein Erdapfel, bis er groß ist? Wie ging’s dem Schweinderl, das jetzt Schnitzerl sein darf? Wie viele Stunden ist ein männliches Kükenleben wert? Aber wenn wir von Werten reden, dann nur von Vitalstoffen und Kalorien.
Dass Kinder nicht aufessen müssen, hat sich glücklicherweise durchgesetzt. Aber wer lehrt sie, sich weniger auf den Teller zu schaufeln? Dass Kinder heikel sind, ist wissenschaftlich bewiesen und begründbar. Aber wie wird so ein Essverhalten erwachsen? Geht das wirklich von alleine? Als wir in Frankreich mit Kindern essen gingen, staunten wir nicht schlecht über die dreigängigen Kindermenüs, die ganz ohne Pommes, Pizzaschnitte und Hühnernuggets auskamen. Anscheinend ist gesundes Essen doch Erziehungssache! Aber wer verzieht wen? Die Eltern, die ihren Kindern immer dasselbe anbieten? Oder die Kinder die Eltern, indem sie alles andere als Wurstsemmel, Schnitzel und Nudeln mit unverdächtigen Soßen verweigern?

Kulinarisches Ödland

Nein, es ist nicht lustig, Kinder in Zeiten von Quetschmus aus dem Plastikzuzler mit ganz normalem Obst zu füttern. Eine ganze Industrie stemmt sich gegen unsere Bemühungen, Kinder regional und gesund zu ernähren. Kiddie-Buffets, Schulessen und Kinderspeisekarten in Restaurants zeigen, was passiert, wenn man „sich entspannt“ und Kinder die Nachfrage anschaffen lässt: kulinarisches, gemüsefreies Ödland. Und wenn ich mir so ansehe, wie sich der Durchschnittsösterreicher ernährt, muss ich leider fragen: Was wächst sich da aus? Wenn fast 40 Prozent der Männer und 26 Prozent der Frauen übergewichtig sind? Je nach Statistik werden hierzulande bis zu 15 Prozent der Kinder als übergewichtig bezeichnet – und zwischen 18 und 31 Prozent der Jugendlichen. Was wächst, sind Speckrollen.
Es scheint, als wären wir als Elterngeneration nicht kompetent, unsere Kinder gesund und nachhaltig zu ernähren. Vielleicht sind wir einfach zu entspannt. Vielleicht sollte ich Atemübungen machen, während ich das Pizza-Massaker nach der Party in den Müll schaufle. Bleibt immer noch das Hirn, das nicht aufhören kann, zu denken: dass Essen ein zutiefst politischer Akt ist. Denn was wir essen, beeinflusst einfach alles – die Wirtschaft, die Umwelt, das Klima, die Kindergehirne. So ein billiges Kinderschnitzel mit Pommes frites, das ohne Hunger angebissen wurde und ketchupfaschiert im Müll landet, ist eine multiple Niederlage. Es wurde unter Tierleid und Ressourcenverschwendung produziert, es wurde nicht wertgeschätzt und jetzt ist es auch noch Müll. Und so etwas soll ich als nachhaltige Person übersehen? Und gleichzeitig entspannt bleiben? Echt jetzt?

Der Planet braucht mehr als entspannte Kinderliebe

Mit diesem Konflikt stehe ich leider sehr oft sehr alleine da. Sei nicht so streng, sagen sie immer zu mir. Nimm den Druck raus, das wird schon. Was wird?, frage ich mich. Alles wird schlimmer, will ich sagen, der Planet braucht mehr als unsere entspannte Kinderliebe. Er braucht auch unser unentspanntes Engagement für Wertschätzung und Ressourcenschonung. Er braucht Kinder, die Wasser gegen den Durst trinken und nicht Orangensaft. Er braucht Eltern, die den Wert von Lebensmitteln verstehen und über das Preispickerl hinausdenken. Er braucht eine völlig neue Art der Ess-Erziehung. Ich bin Greta Thunberg sehr dankbar, dass zumindest sie mit uns schimpft, während ich mit lieben Worten den Tisch abräumen darf. Dass sie die nachkommende Generation aufhusst, bei sich selbst anzufangen. Bis dahin kann ich ja Atemübungen lernen.