Sie sagen immer wieder: Kinderbilder gehören nicht ins Netz. Und im Grunde wissen wir alle, wieso. Warum wird trotzdem fleißig gepostet?


Thomas-Gabriel Rüdiger: Eine absolut gültige Antwort kann ich auch nicht geben. Dafür sind die Motivlagen zu individuell. Einige Eltern machen das tatsächlich aus Monetarisierungsgründen. Wenn diese beispielsweise einen Blog mit Familienbildern – auch von ihren Kindern – betreiben, fällt es vermutlich schwer, diese Ausrichtung einfach zu ändern. Bei anderen überwiegt der Stolz auf die eigenen Kinder. Jeder soll sehen, wie toll diese sind. Andere verstehen eventuell gar nicht, dass Gefahren daraus entstehen können. Gerade auch bei Eltern oder Großeltern, die eher eine Wisch- als eine Medienkompetenz haben.


Aus Bildern kann man kinderleicht Informationen beziehen. Welche Härtefälle sollten Eltern im Hinterkopf behalten?


Zunächst ist es so, dass ich aus allen Daten, die über jemanden im Internet preisgegeben werden, vulnerable Informationen ziehen kann. Das heißt, dass es sich um Informationen handelt, die ich gegen denjenigen verwenden kann. Daher ist eine reflektierte Selbstdarstellung im Internet unerlässlich. Ein Täter könnte beispielsweise ein unbedachtes Foto samt Ortsnennung mit den Bildern vom Kind kombinieren. Selbst wenn ein Kind nur von hinten fotografiert wird, sehe ich die Gestalt, die Haarfarbe, was das Kind anhat. Oder man kann den Vornamen herauslesen. Zumeist erfahre ich dann über die Profile der Eltern auch den Nachnamen. Mit diesen Informationen könnte ich dann Kindergärten oder Schulen abklappern. Tatsächlich gab es schon Fälle, wo solche Informationen zu schweren Delikten geführt haben. Gleichzeitig wissen wir noch gar nicht, was man durch die zukünftige Technik mit diesen Bildern machen kann. Bereits heute gibt es einen Fall aus England, wo die Polizei nur aufgrund eines Bildes im Internet einen Fingerabdruck auslesen konnte.


Können Sie genauer erklären, was das für den Alltag von Eltern und Kindern bedeutet?

Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyberkriminologe und untersucht den digitalen Raum und seine Gefahren
Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyberkriminologe und untersucht den digitalen Raum und seine Gefahren © (c) Janine Limberg


Es ist so, dass wir täglich die Identität unserer Kinder im Netz bereits durch die Art und Weise prägen, wie und was wir über sie posten. Ein Kind hat gar nicht die Möglichkeit, seine eigene digitale Identität aufzubauen.


Einerseits sagen wir unseren Kindern, dass sie im Internet aufpassen müssen. Andererseits posten wir ein Bild nach dem anderen. Ist das nicht heuchlerisch?


Ja, das kann man klar so sagen. Es ist auch eine Frage der Vorbildfunktion. Wenn Eltern die Bilder selber so teilen und sich entsprechend präsentieren, dann ist es den Kindern kaum vermittelbar, warum sie vorsichtig mit ihren Bildern umgehen sollten. Ich sage nicht, dass sich Eltern nicht selbst präsentieren sollten. Sie müssen aber darauf achten, dabei keine vulnerablen Informationen preiszugeben.


Die Zukunft unserer Kinder wird stark mit dem digitalen Raum verbunden sein. Welches Rüstzeug müssen wir ihnen mit auf den Weg geben, um die Herausforderung zu meistern?


Eltern müssen die Ansprechpartner ihrer Kinder im digitalen Raum werden, und nicht die Kinder die Ansprechpartner ihrer Eltern. Dafür müssen die Eltern aber selbst eine echte Medienkompetenz erlangen. Sie können zwar Bilder hochladen, Hashtags nutzen und Likes vergeben – was das aber für eine tiefere Bedeutung hat und welche Risiken damit einhergehen, ist nicht allen bewusst. Daher braucht es Eltern, die Medien selbst aktiv nutzen und gleichzeitig die Risiken verstehen. Ich diskutierte einmal mit einer Blogger-Mutter, die selbst Fotos von ihrem Kind postet. Sie war der Auffassung, wenn ihr Kind das irgendwann nicht mehr möchte, dann wäre sie bereit, sofort aufzuhören. Das ist der falsche Ansatz. Wir als Gesellschaft müssten uns verpflichten, dass wir Bilder von Kindern erst in Netz stellen, wenn diese selbst wissen, was das bedeutet.