Eltern, die beim Fußballmatch ihrer Achtjährigen grobe Derbheiten vom Spielfeldrand brüllen und Spieler verbal attackieren. Oder junge Väter und Mütter, die beim Kinderlauf ihre weinenden und schreienden Zweijährigen an der Hand über die Ziellinie zerren. Man kennt diese Situationen mittlerweile leider zur Genüge, in denen Eltern offenbar blind und taub sind vor Ehrgeiz.

Für Werner Bartens, deutscher Arzt und Wissenschaftsjournalist, war das der Auslöser, sich den Schattenseiten von kindlichem Sport in dem Buch „Verletzt, verkorkst, verheizt“ zu widmen. Bartens sagt: „Sport und Bewegung sind an sich gut für Kinder. Aber nicht so, wie sie heute häufig betrieben und angeleitet werden.“ Dass heute fiese Tricks, taktische Fouls und Mauscheleien im Team oft wesentlicher Bestandteil des Sports sind, findet er schade: „Kinder im Volksschulalter sind von Natur aus fair und hilfsbereit. Denen wird das systematisch abtrainiert.“ Und das alles, weil Leistung, Ehrgeiz und Bester-Sein vielfach mehr zählen als der Spaß am Sport.

So ausgeübt, werden nicht nur die kindlichen Seelen, sondern auch ihre Körper überstrapaziert. Denn wird in der Kindheit und Jugend zu viel und falsch trainiert, sind laut Bartens Spätfolgen wahrscheinlich. 40-Jährige mit künstlichen Hüften oder kaputten Knien sind die Folge. Um das zu vermeiden, müssten auch Eltern genau hinsehen.

Ein wichtiger Punkt: „Wie geht der Trainer damit um, wenn das Kind Schmerzen oder Beschwerden hat. Lässt er es trotzdem weitertrainieren oder -spielen?“ Außerdem sei ein Check der Ausbildung des Trainers ratsam. „Trainerscheine werden heute günstig angeboten, viele haben gar keinen Schein. Hauptsache, irgendwer macht es. Aber es geht schon darum, mit der Trainingslehre vertraut zu sein. Selbst einmal Spieler gewesen zu sein, genügt sicher nicht“, meint Bartens. Altersgerechtes Training, spielerisches Herangehen für bis zu 12-Jährige, kein Krafttraining unter 18 – all das seien Merkmale für verantwortungsvolle Trainer. Dann braucht es auch noch entspannte Eltern, die nicht ihre eigenen Sehnsüchte über die Kinder erfüllen wollen, „denn das ist die vollkommen falsche Motivation“.

„Zwischendurch sollte man sich immer wieder fragen: Ist das jetzt mein Projekt oder das meines Kindes?“ Das empfiehlt Herbert Renz-Polster, deutscher Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor, und fügt hinzu: „Kinder sind keine Rennpferde. Es ist schrecklich, wenn Eltern den Erfolg ihres Kindes zu ihrem machen.“ Wenn dagegen die Kinder selbst ehrgeizig und leistungsbereit in einer Sache sind, sollen die Eltern getrost mitspielen: „Kinder haben einen großen Wirksamkeitstrieb. Solange sie mit Begeisterung bei der Sache sind, solange sie ein Funkeln in den Augen haben, ist alles gut.“ Kinder hätten ein genuin gesundes Leistungsempfinden. Und sie wählten ja nicht nur die Leistung allein, sondern das ganze Paket.

Beispiel Sport: Dort geht’s nicht nur um die körperliche Ertüchtigung, sondern auch um die Gemeinschaft in einem Team und das Aufgehobensein in einer Gruppe. In solchen Fällen seien auch volle Tagespläne kein Problem für Kinder. Renz-Polster: „Es geht darum, was sie dort erleben. Es gibt eben nicht das eine kindgerechte Leben. Manche Kinder wachsen quasi im Orchestergraben auf und entwickeln sich prächtig.“

Ist kindlicher Ehrgeiz also generell positiv zu bewerten? Renz-Polster verneint und schränkt ein: „Natürlich kann hohe Leistungsbereitschaft auch eine Kompensation sein, um Anerkennung von außen zu finden.“ Kinder seien dann nicht aus eigenem Antrieb ehrgeizig, sondern, damit andere – oft die Eltern – sie gut finden. Das sei dann lediglich ein Abrufen von Verstärkern und ein verbissenes Weiterwursteln. Eltern rät der Experte, einfach zu beobachten: „Geht’s dem Kind dabei gut? Hat es strahlende Augen? Oder funktioniert es nur noch?“

Tatsächlich können Eltern ihre Kinder mit ihren Idealen maßgeblich beeinflussen: „Wenn wir sehr klare Urteile über etwas haben nach dem Motto ,Das ist gut und das ist schlecht‘, dann kann’s passieren, dass die Kinder nur unsere Vorstellungen leben und ins Ungleichgewicht kommen.“

Renz-Polster, selbst vierfacher Vater, schließt mit einem Denkanstoß für ehrgeizige Eltern und ihre geforderten Kinder: „Ich persönlich finde es deshalb immer toll, wenn Kinder in einen Bereich wollen, den ihre Eltern total scheiße finden!“

Mehr zum Thema