Der Klimawandel bedroht unser aller Lebensgrundlage. Damit gehen die unterschiedlichsten Gefühle einher. In Ihrem Buch behandeln Sie diese "Klimagefühle": Welche sind denn das?
LEA DOHM: In der öffentlichen Debatte wird am meisten über die Klimaangst gesprochen, dazu wurde auch schon am meisten geforscht. Letztlich können in der Auseinandersetzung mit der Klimakrise aber alle Gefühle auftauchen.
Zum Beispiel?
Wenn wir uns mit dem Klimawandel beschäftigen, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass auch Traurigkeit auftaucht, Wut und Ärger – aber auch Freude und Hoffnung, wenn wir nämlich merken, dass wir wirklich noch etwas tun können.
Sie haben Traurigkeit angesprochen. Was hat die denn mit dem Klimawandel zu tun?
Das eine ist die Traurigkeit in Hinblick auf die sich verändernde oder auch sterbende Natur. Aber es gibt noch eine andere Seite von Traurigkeit, über die weniger gesprochen wird. Wenn man nämlich erkennt, dass wir uns als Menschen in den nächsten Jahrzehnten in vielerlei Hinsichten verändern müssen, dann kann das ja auch eine Traurigkeit auslösen, wie eine Art Abschied.
Um was für einen Abschied handelt es sich da?
Ich bin zum Beispiel wahnsinnig gerne in den Urlaub geflogen. Das jetzt gar nicht mehr so leichtfertig machen zu können, das macht etwas mit mir als Person – und mit meiner Identität. Weil: Wie kann ich jetzt eigentlich gut meine Ferien verbringen? Spoiler: Es gibt tatsächlich total gute Möglichkeiten und ich habe wunderschöne Ferien. Aber es ist zuerst einmal traurig, der Abschied von alten Verhaltensmustern, die uns lieb gewonnen sind und gewohnt erscheinen. Wir können die Klimakrise natürlich nicht nur mit individuellen Verhaltensänderungen lösen, das Problem geht ja darüber hinaus.
Deswegen fühlen sich viele Menschen hilflos ...
Ja. An dem Punkt sind viele Menschen, die feststellen 'Hey, ich hab schon einiges verändert. Ich kaufe anders ein, fahre vielleicht mehr Fahrrad und irgendwie scheint es nicht zu reichen'. Da können Gefühle wie Frust und Hilflosigkeit oder Angst und Traurigkeit aufkommen. Das kann wiederum dazu führen, dass sich vielleicht einige Menschen davon zurückziehen – das halte ich allerdings für gefährlich. Gefühle sind ja dafür da, um uns auf etwas aufmerksam zu machen, auf etwas Wichtiges. Da dann dranzubleiben und zu schauen, was es noch für Möglichkeiten gibt, finde ich total wichtig. Da landen wir dann bei strukturellen Fragen, zum Beispiel: Was kann ich vielleicht bei meinem Arbeitgeber machen?
Was machen Sie persönlich, wenn Sie sich in Hinblick auf den Klimawandel hilflos fühlen?
Ich lebe in der Nähe von Hannover, hier gibt es ein großes Steinkohlekraftwerk. Es hat sich dann das Bündnis "Hannover Erneuerbar" gegründet, was ein Bürgerbegehren gestartet hat, um dieses Steinkohlekraftwerk früher vom Netz zu bringen. Ganz zusammengewürfelt haben da Menschen Unterschriften gesammelt und das war erfolgreich: Das Kraftwerk geht jetzt tatsächlich früher vom Netz. Das hat etwas so Ermächtigendes und das ist etwas, was wir Menschen vielleicht gar nicht mehr so gewohnt sind.
Inwiefern?
Weil wir lange Jahre erlebt haben, in denen es einfach gut lief, wir einen hohen Wohlstand hatten. Und jetzt sind wir plötzlich in eine Zeit verschiedener Krisen reingeraten. Da müssen wir diese Möglichkeiten der Mitgestaltung, die wir in einer Demokratie haben, erst mal wieder für uns entdecken. Und vielleicht auch feststellen, dass es gar nicht nur stressig ist, sich für etwas einzusetzen, sondern dass man auch einiges gewinnen kann. Das sind nämlich ganz viele Menschen, mit denen mich etwas verbindet: Wir sorgen uns um die Erde. Das hat auch etwas Gemeinschaftliches.
Stichwort Gemeinschaft: Klimagefühle haben wir ja alle – die einen mehr, die anderen weniger. Wie wichtig ist es, darüber zu sprechen?
In den letzten Jahrzehnten hat man Gefühle gesellschaftlich eher für sich selbst ausgemacht. Wer sich unglücklich fühlt, findet bestimmt den richtigen Instagram-Account, von dem man sich berieseln lassen kann. Aber das ist nicht, wie wir Menschen funktionieren. Wenn man sich mal umschaut: Man fühlt sich meistens mit den Menschen am meisten verbunden, mit denen wir uns darüber austauschen können, wenn es uns nicht gut geht. So entsteht Nähe und Verbundenheit – das ist das, was wir uns wünschen als Menschen. Wir sind ja soziale Wesen, wir wollen gar nicht dieses oberflächliche Zeug.
Darf es trotzdem hin und wieder auch Verdrängen sein?
Wir alle haben psychologischen Abwehrmechanismen. Die sind gesund und wichtig, damit wir uns fokussieren können. Das wird nur dann gefährlich, wenn sie uns von einer realen Gefahr ablenken. Es geht eher darum, für sich ein gutes Maß zu reflektieren.
Was wäre ein gutes Maß?
Das ist natürlich individuell. Man muss sich nicht nonstop mit den Ökokrisen beschäftigen, manchmal möchte man auch einfach unbeschwerte Zeit mit den Kindern verbringen – aber das ganz und gar auszublenden wäre auch naiv.
Stichwort Kinder: Welche Verantwortung tragen wir künftigen Generationen gegenüber?
Ich fühle mich sehr unwohl damit, wenn Menschen so etwas sagen wie 'Die Jungen, die müssten mal wieder demonstrieren'. Nein, das müssen wir alle! Wir vielleicht noch viel mehr als die Jugend, weil die hat es ja gar nicht so sehr verbockt – wir haben ja die letzten Jahre so gelebt als Erwachsene. Es ist sinnvoll, wenn wir unsere Verantwortung jüngeren Menschen gegenüber reflektieren. Das hört sich jetzt nach Moralkeule an, aber es ist unser Job, als Eltern, als Erwachsene, dass wir den Kindern eine lebenswerte Zukunft hinterlassen. Wir wissen aus der Psychologie, dass Kinder mit Klimaangst besser umgehen können, wenn sie wissen, die Erwachsenen tun was. Logisch, dann fühlen sie sich geschützt.
Sie titeln in Ihrem Buch "Wie wir an der Umweltkrise wachsen statt zu verzweifeln". Wie können wir daran wachsen?
Wenn wir im Leben eine schmerzliche Erfahrung machen, dann hilft es uns in aller Regel, wenn wir uns damit auseinandersetzen, das vielleicht auch betrauern. Damit reifen wir als Persönlichkeit. Wer die eigenen Gefühle immer lieber zur Seite schiebt, ist eher verhärmt oder geht nur noch ironisch und abwertend an die Sache ran – ganz nach dem Motto 'ist eh alles zu spät'. Was uns wirklich Power gibt und uns zu reiferen Persönlichkeiten entwickeln lässt, ist, hinzuschauen und vor dem Schmerz nicht zurückzuweichen. Das ist die Herausforderung, vor der wir jetzt im Grunde alle zusammen stehen: Nicht wegschauen, sondern die Auseinandersetzung wagen. Nicht daran verzweifeln, sondern wachsen.
Claire Herrmann