"Mama, du sitzt auf meiner Freundin!“ Der Platz neben Ihrem Kind ist besetzt – aber auf der Bank sitzt niemand? So weit, so unspektakulär. Viele Kinder haben Fantasiefreunde. Trotzdem wirkt der erdachte Spielgefährte auf Erwachsene oft einschüchternd. Denn imaginäre Wesen sind normalerweise der Stoff, aus dem Gruselfilme sind. Das kommt nicht von ungefähr.

Fördert Kreativität

Fantasiefreunde hatten lange Zeit einen schlechten Ruf, wie Kinderpsychologin Simone Breitenfeld erklärt: „Früher ging man davon aus, dass Fantasiefreunde möglicherweise zu Persönlichkeitsstörungen führen könnten.“ Dieser Glaube stammt aus einer Zeit, in der man sich kaum mit der kindlichen Psyche beschäftigt hat. Doch heute weiß man: Erdachte Freunde bei Kindern sind keineswegs etwas Schlechtes. Sogar das Gegenteil ist der Fall. Einerseits ist das „so tun als ob“ ein wichtiger Teil des kindlichen Spiels. Dadurch wird die Fantasietätigkeit angeregt und Kinder zum Geschichten erzählen beflügelt. Im Kindergartenalter – auch Alter des „magischen Denkens“ genannt – machen Kinder große Fortschritte. Sie begreifen, dass sie mit der Kraft ihrer Gedanken quasi alles erschaffen können.

Beschützer, Komplitze, Tröster

Andererseits leisten Fantasiefreunde wichtigen Beistand, etwa in sogenannten Übergangssituationen. Die da wären? Zum Beispiel Probleme im Kindergarten, Streitereien zwischen den Eltern oder ein neues Geschwisterkind, das viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Der erdachte Gefährte kann verschiedene Rollen einnehmen – etwa zum Beschützer, Komplizen oder Tröster werden. Simone Breitenfeld wertet das als „eine positive Stärkung.“ Denn Kinder müssen erst lernen, wie man Gefühle reguliert. Sprich: Impulse wahrnimmt, verbalisiert und damit umgeht. „Mit Hilfe eines Fantasiefreundes versuchen viele Kinder einfach die eigenen Ängste, Fragen und Gedanken auszudrücken“, sagt die Expertin. Der Gefährte wird zur Bewältigungshilfe. Kein Grund zur Beunruhigung: „Es ist erfreulich, wenn Kinder Strategien entwickeln, um mit schwierigen Situationen umzugehen.“ Das Kind wisse sich selbst zu helfen und entwickle „Stärke und Kompetenz“.

Das Kind ernst nehmen

Als Elternteil lohnt es sich in jedem Fall genau hinzuhören. Stellvertretend für die eigenen Gefühle wird in solchen Fällen gerne die vermeintliche Befindlichkeit des Fantasiewesens vorgeschoben („Bitte lass das Licht an, meine Freundin fürchtet sich!“). Wie Erwachsene in solchen Situationen am besten reagieren? „Als Elternteil könne man etwa mit einer Gegenfrage (‘Warum hat deine Freundin Angst im Dunken?’) antworten.“ Beide Seiten profitieren von diesem Vorgehen. Aber nur dann, wenn man so authentisch wie möglich auf das Kind eingeht. Die Expertin rät davon ab, die Vorstellung des Kindes gewaltsam zu zerstören:„ Bevor man die Gedanken des Kindes als Unfug abtut, sollte man sich nicht in das Rollenspiel einmischen und dem Kind Zeit geben, sich selbst zu regulieren. Ansonsten signalisiere man dem Kind, dass man es nicht ernst nimmt und verstärkt im schlimmsten Fall das Problem.Wann besteht Handlungsbedarf? „Wenn Kinder in ein Alter kommen, in dem sie zwischen Traum und Realität unterscheiden können – das fängt ungefähr im Alter ab acht Jahren an“, so die Expertin. Ein Fantasiefreund in diesem Alter müsse aber nicht heißen, dass gleich eine Störung vorliegt. Es gilt zu hinterfragen, „ob es einen Punkt gibt, über den das Kind gerade nicht drüber kann.“ Dabei könne der Besuch bei einem Kinderpsychologen helfen.