Es war eine kleine Filmtablette, die das Leben von Millionen Frauen mit einem Schlag radikal verändert hat: Vor 60 Jahren kam in den USA die Antibabypille auf den Markt. „Enovid“ hieß das kleine Dragée, das das Konzept der Empfängnisverhütung neu definiert hat. Durch das Hormonpräparat war Verhütung sicherer, die Familienplanung einfacher, Liebe und Lust konnten endlich losgelöst davon erlebt werden.

Freiheit wird neu gedacht 

Heute? 2020 bedeutet Freiheit für viele Frauen etwas anderes, etwa frei von künstlichen Hormonen zu sein, wie auch aus dem aktuellen österreichischen Verhütungsreport hervorgeht: Immer weniger Frauen setzen auf hormonelle Verhütungsmittel. 2012 gaben noch 60 Prozent der Befragten an, hormonell zu verhüten, 2019 waren es nur noch 48 Prozent. Als Giftcocktail verschrien, fürchten Frauen vor allem die Nebenwirkungen der Pille.

Als die Pille 1962 ihren Weg nach Österreich fand, stand sie allerdings aufgrund anderer Dinge in der Kritik: Die Pille würde zur „allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht“ beitragen, fürchtete etwa Papst Paul VI. Damit war er nicht allein: Sittenwächter, aber auch einige Mediziner liefen gegen die Pille Sturm.

Starke Skepsis

Die Frauen selbst nahmen das neue Präparat nur zögerlich an. Das Verhütungsmittel traf auf eine Gesellschaft, die überwiegend ein Leben nach altvertrauten Mustern führte. Jene Frauen, die in dem Alter gewesen wären, die Pille einzunehmen, wurden in den 1950er-Jahren sozialisiert: „Mädchen wurden in dem Sinne erzogen, dass ihre moralische Unversehrtheit das Wichtigste sei“, sagt Karin M. Schmidlechner, Professorin für Geschichte der Universität Graz.

Aufklärung gab es kaum: „Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass ihre Eltern gesagt haben, sie könne schwanger werden, wenn sie einem fremden Mann die Hand gibt.“ Hinzu kommt, dass damals nicht alle Frauen Zugriff auf die Pille hatten, denn zunächst wurde sie Verheirateten verschrieben. Außerdem waren die meisten Menschen misstrauisch gegenüber chemischen Präparaten, nicht zuletzt ausgelöst durch den Contergan-Skandal.

Und doch war der Siegeszug der Pille nicht aufzuhalten. Zu groß war der Leidensdruck der Frauen. Wer schwanger wurde, ohne verheiratet zu sein, hatte ein Problem: „Zu dieser Zeit gab es eigene ‚Ledigenheime‘ für Frauen, die von ihren Eltern verstoßen wurden, weil sie durch ihr uneheliches Kind die Ehre der Familie zerstört haben.“ Doch auch verheiratete Frauen litten. Eine ungeplante Schwangerschaft konnte aus wirtschaftlichen Gründen schwierig werden. „Die Pille war für die Frauen eine Erlösung von vielen Ängsten“, so Schmidlechner.

Die 1970er bringen den Siegeszug

Ab den 1970er-Jahren hatte sich die Verhütungsmethode dann durchgesetzt. Wobei emanzipierte Frauen die Entwicklung doch auch kritisch sahen. Ihre Befürchtung: Eine Frau, die die Pille nimmt, sei auch ständig sexuell verfügbar. Das war und ist „ein wichtiger Einwand“, betont die Historikerin, wobei die Vorzüge dieser Methode eindeutig überwiegen, „allein wenn man bedenkt, wie viel Leid den Frauen dank Pille erspart geblieben ist“.

Dass die steigende Akzeptanz der Pille in die 1970er-Jahre fällt, verwundert nicht. In diesem Zeitraum hat sich die Gesellschaft in Österreich grundlegend modernisiert. Damit verbunden war zum einen die Säkularisierung, zum anderen der zunehmende Einfluss von Frauen- und Jugendbewegungen.

Der Weg war also frei, die Pille setzte sich durch.  Ein kleines Ding mit großer Wirkung, das zum Symbol der Emanzipation avancierte. Gilt das heute auch noch? „Ja“, betont Gynäkologin Doris  Maria Gruber. „Durch die Pille ist die Frau Herrin über ihre Fruchtbarkeit. Sie muss sich bei der Verhütung nur auf sich selbst verlassen. Deshalb wird die Pille ihren Stellenwert auch nie ganz verlieren.“ Und: Durch die gezielte Unterdrückung des Hormonsystems ergeben sich bei vielen Frauen erfreuliche „Nebenwirkungen“: Die Blutung wird regelmäßiger, Menstruationsschmerzen bleiben aus, Migräne fällt oft weg. „Dazu kommt, dass die Hormonbelastung heute viel geringer ist“, sagt die Expertin. In den letzten Jahren wurde die Dosis stark nach unten korrigiert. Die verhütende Wirkung bleibt dieselbe.

Erfolg hat die Pille heute vor allem als Einstiegsmethode. Doch die Expertin mahnt: „Wichtig ist, dass die hormonelle Entwicklung abgeschlossen ist, bevor man zur Pille greift.“ Bei einem späteren Absetzen drohen ansonsten ausbleibende Blutungen und Hormonstörungen. „Mit zunehmenden Alter steigen viele Frauen auf mechanische Verhütungsmittel um“, sagt die Gynäkologin. Der Grund: Mit der Veränderung des Körpers verändere sich oft auch der Anspruch an das Verhütungsmittel.

Eine individuelle Entscheidung

Dass die Pille von vielen Frauen mittlerweile abgelehnt wird, hat auch mit einem stark diskutierten und ernst zu nehmenden Faktor zu tun: dem thromboembolischen Risiko – also dem Risiko möglicher Gefäßverschlüsse. Wie hoch dieses Risiko ist, steht im engen Zusammenhang mit dem Lebensstil der jeweiligen Frau: So erhöhen Rauchen, Alkohol und Übergewicht in Kombination mit der Pille dieses Risiko stark.

Doch trotz der andauernden Einerseits-andererseits-Diskussion: „Wichtig ist, dass man nicht verallgemeinert sagen kann, ob die Pille das richtige oder falsche Verhütungsmittel ist“, sagt Gruber. Es sei die individuelle Entscheidung der Frau, die am besten im Absprache mit einem Arzt erfolgt.