Einem Buch und dem dazu passenden Film zufolge trägt Anna Wintour ja Prada. Doch in Zeiten einer Pandemie weicht sogar die „Vogue“-Chefin einmal von ihrem Styling-Kodex ab und begibt sich in die durchgesessenen Niederungen der Knotz-Couture. An ihrer Seite ein Experte seiner Zunft, der Couch-Coach persönlich: die Jogginghose. Im Englischen besser bekannt als Sweatpants, langjährige Partnerin des Sweaters. Treue Seelen: Man geht mit ihnen durch dick und dünn.
Viele von uns schreiben bereits Woche sechs im Homeoffice-Logbuch. Mittlerweile weiß man schon, wie viele Bücher man unterm Laptop stapeln muss, damit man nach Dienstschluss nicht leise wimmernd aus dem Wohnzimmer robbt, oder welcher Hintergrund sich am besten für die Videokonferenz mit den lieben Kollegen eignet.
Neue Lockerheit
Auch beim Dresscode hat man nach und nach – nun ja – entschleunigt. Hosen werden elastischer, T-Shirts faltiger, Gesichter natürlicher. Business-Stylistin Susanne Voggenberger ist die Fachfrau für Modisches auf geschäftlichem Parkett. Sie rät im Homeoffice zu einer Art neuer Lockerheit. „Ja, man kann gemütliche Hosen und auch Leiberln tragen, man sollte aber einen Unterschied zwischen Couch und Homeoffice machen, weil das ja auch die innere Einstellung bei der Arbeit beeinflusst.“
Man müsse aber auch zwischen Jogginghose und so genannten Jogg-Pants unterscheiden. Während die klassische Variante aus Baumwollstoff gerne an den besonders strapazierten Stellen wie Hintern und Knie ausbeult, behalten Jogg-Pants mithilfe von Elastan auch ihre Form. Susanne Voggenberger: „Diese Hosen sind seit Jahren im Trend – und vor allem mit Bluse, Blazer oder Hemd auch in der Geschäftswelt einsetzbar und nicht nur im Homeoffice.“
Kein Zufall, sondern Marketing
Auch der Umstand, dass nun Mode-Ikonen und glamouröse Schauspielerinnen im Jogginganzug zu sehen sind, ist der Expertin zufolge alles andere als ein Zufall. Einerseits geht es um Marketing. „Solche Bilder bedeuten Klicks und Likes, weil sich die Menschen leichter mit den Promis identifizieren können.“ Aber auch eine andere Botschaft wird mit diesen Bildern mitgeliefert: Wir sind ein Teil der Gemeinschaft. „In Zeiten wie diesen ist es überaus wichtig, dass berühmte Menschen zeigen, dass sie genauso von dieser Pandemie betroffen sind wie wir alle. Dass sie zu Hause sitzen und ebenfalls Videokonferenzen machen“, erklärt die Business-Stylistin.
Die Coronakrise zeigt aber auch, dass sich das Verständnis von Dresscodes im Wandel befindet. Ginge es nach Modezar Karl Lagerfeld, hätten nun ja mittlerweile viele die Kontrolle über ihr Leben verloren. Heute gilt jedoch das Gegenteil. Oftmals sind genau diejenigen, die nicht mit Krawatte oder protzigem Firmenwagen, sondern mit Kapuzensweater oder Fahrrad in die Arbeit kommen, die Mitarbeiter der Chefetage. Ganz einfach, weil sie bei diesen Dresscodes nicht mehr „mitspielen“ müssen. Verhaltensforscher Gregor Fauma: „Der Vorstandsdirektor kann mit dem Rad in die Firma fahren, der braucht keine S-Klasse mehr.“
Natürlich machen sich die fehlenden gesellschaftlichen Bühnen in der Coronakrise, der Mangel an Sehen und Gesehenwerden, im Kaufverhalten spürbar. So sind bei Otto Versand die Zahlen der Textileinkäufe zurückgegangen – mit einer Ausnahme: der Sportmode. Die Jogginghose ist nicht nur eine Meisterin der Entschleunigung, sondern auch bestens trainiert in der Ausdauer.