Steckt in jedem Kind ein kreativer Geist?

NIKOLA KÖHLER-KROATH: Ja, in jedem Kind und in jedem Menschen steckt ein kreativer Geist. Es heißt ja nicht, dass nur Menschen kreativ sind, die sich mit Kunst oder Musik befassen, auch tanzen, schreiben, kochen, etc. sind kreative Tätigkeiten. Manchmal muss man diesen Geist einfach wecken, weil er durch unsere Erziehung oder negative Bemerkungen aus unserem Umfeld – egal ob von Eltern, Lehrern oder anderen Kindern – oftmals verkümmert ist. Negative Bewertungen können die Freude am Tun verderben. Uns ist es sehr wichtig, dass die Kinder in der Ausstellung (Anm. der Red.: „Mal mal!“ im Frida & Fred) selbstständig und autonom malen und gestalten können. Erwachsene Begleitpersonen werden explizit gebeten, keine Bewertungen abzugeben, und darum, den Kindern nicht zu „erklären“, wie „richtig“ gemalt werden soll. Denn es gibt kein Richtig oder Falsch.


Welche Rolle spielt Kunsterziehung in Bildungseinrichtungen?

KÖHLER-KROATH: In Österreich gibt es aufgrund des Lehrplans und des Bildungsrahmenplans (Anm. der Red.: umfasst den Bildungsauftrag für alle institutionellen Formen der Bildung und Betreuung von Kindern bis zum Schuleintritt) allgemein gute Voraussetzungen für Kunst und kreatives Erleben. Es liegt jedoch an den einzelnen Pädagogen, wie diese die Möglichkeiten aufgreifen und umsetzen. Wünschenswert wäre eine möglichst große Vielfalt und nicht immer nur der klassische Handabdruck als Muttertagskarte.


Inwieweit kann kreatives Schaffen den Selbstwert von Kindern beeinflussen?

KÖHLER-KROATH: Malen und kreatives Gestalten sind wichtige Beiträge zur ganzheitlichen Förderung von Kindern. Freies Spiel, freies Malen und generell kreatives Handeln tragen maßgeblich dazu bei, vielzählige Verbindungen im Gehirn zu schaffen. Darüber hinaus erlebt sich ein Kind im kreativen Tun als ein autonomes Wesen. Es entscheidet im kreativen Prozess selbstständig und erlebt sich so als kompetenter Mensch. Im Vorschul- und Schulalter ist zum Beispiel das Malen eine einfache Möglichkeit, sich auszudrücken und etwas zu hinterlassen.


Ist die Bildsprache sozusagen eine Ausdrucksmöglichkeit vor der Verbalsprache?

KÖHLER-KROATH: Ja genau, mit den Händen im Essen matschen oder in der Farbe ist eines der ersten Dinge, die Kleinkinder machen, wo sie auch merken, dass sie Spuren hinterlassen. Und: Kreative Prozesse sind oft auch soziale Prozesse. Wenn ich beispielsweise großflächig male und neben mir ein anderes Kind, ist es wichtig, sich abzusprechen, Grenzen zu respektieren und miteinander auszukommen.


Inwieweit beeinflusst Kunst die Entwicklung von Kindern?

KÖHLER-KROATH: Kreatives Tun ist ein ganzheitliches Tun, ein Erleben mit allen Sinnen. Genau das wird auch im Bildungsrahmenplan für die Arbeit im Kindergartenbereich gefordert. Es geht aber auch um Individualisierung. Wie bereits erwähnt, haben Kinder sehr unterschiedliche Interessen, daher ist es wichtig, ihnen ein breites Spektrum an Möglichkeiten anzubieten, damit sie selber wählen können.


Welche Rolle spielt Mut beim kreativen Schaffen?

KÖHLER-KROATH: Gerade bei jüngeren Kindern ist der Schaffensprozess das Interessantere für sie, das Lustvolle. Es geht ihnen oft gar nicht so sehr darum, ein tolles Produkt zu gestalten oder ein perfektes Gemälde oder eine Plastik, es geht vielmehr um den Prozess. Man sollte den Kindern diese Freude am Tun möglichst lange bewahren. Abwertende oder auch gut gemeinte Kommentare sollte man unterlassen, Erwachsene sich da zurücknehmen, damit die Freude am Tun nicht getrübt wird.


Wie können Eltern die Kreativität ihrer Kinder fördern?

KÖHLER-KROATH: Sie können Räume schaffen, in denen vielfältige kreative Zugänge möglich sind. Ein Beispiel wäre, Kinder im Sommer im Freien mit Wasser und Sand matschen zu lassen und zu respektieren, dass diese Tätigkeiten nicht mit sauberer Kleidung einhergehen. Weitere Möglichkeiten sind gemeinsames Singen, sich zu Musik zu bewegen oder selber Trommeln zu basteln. Die Palette ist bunt und Eltern sollen keine Scheu davor haben, dass sie etwas selber nicht gut können. Es geht nicht darum, zu zeigen, dass man als Elternteil ein Künstler ist.
Gibt es einen kreativen Bereich, der besonders wichtig ist?
Ich würde keinem den Vorzug geben. Kindern sollten alle Bereiche zugänglich und erlebbar gemacht werden. Denn die persönlichen Interessen sind sehr unterschiedlich.


Wann ist der richtige Zeitpunkt für Kunst(-unterricht)?

KÖHLER-KROATH: Prinzipiell ist zwischen Kunstunterricht im Sinne von Kunsterziehung und kreativem Gestalten zu unterscheiden. Mit Kunst als kreativem Prozess beginnen Kinder ja schon als Kleinkinder. Sie schmieren mit dem Essen auf dem Tisch oder mit einer Creme auf dem Spiegel. Sie erleben sich in dieser Tätigkeit stark als Menschen, die Spuren hinterlassen und etwas schaffen und merken, dass sie mit ihrem Tun etwas bewirken. Vor allem das Malen ist eine Ausdrucksform, die bereits Kleinkinder nützen können. Auch Kunsterziehung kann mit Kindern spannend umgesetzt werden. So können bereits Kindergartenkinder Gemälde in einem Museum betrachten, mit einer geschulten Vermittlerin des Museums besprechen, nachmalen usw. Dazu bedarf es Personen, die sich auf die junge Zielgruppe einlassen und ihnen Inhalte altersadäquat und vor allem interessant näherbringen.


Ist Kunst nicht zu langweilig für Kinder?

KÖHLER-KROATH: Kunst per se ist nicht langweilig, auch der Prozess des Kunstschaffens ist spannend und voller Emotionen. Aber Kunst wie für Kunststudierende mit Bildanalysen umzusetzen, wäre natürlich für die junge Zielgruppe nicht passend. Dennoch können z. B. berühmte Bilder als Anlass genommen werden, um sie zu verändern oder sich mit dem Thema zu befassen oder selber kreativ zu werden. Auch sind nicht alle Techniken für jüngere Kinder passend. Ein Linolschnitt mit scharfen Messern und dem dafür nötigen Kraftaufwand wäre für Dreijährige zu gefährlich. Aber diese Technik mit Knetmasse oder Fimoteig und Holzstäbchen umzusetzen, ist durchaus möglich. Es ist wichtig, von der Erlebniswelt der Zielgruppe auszugehen. Was interessiert dreijährige Kinder und was ist für Zehnjährige ein ansprechendes Thema?


Schon im Kindergarten gibt es oft Zeit- und Leistungsdruck: Wie wirkt sich das in Zusammenhang mit Kreativität aus?

KÖHLER-KROATH: Gerade im Kindergartenbereich ist der Leistungsdruck völlig fehl am Platz. Dieser beginnt leider viel zu früh. Die Phase bis zum Alter von zehn Jahren sollte eigentlich eine Zeit sein, in der man die natürliche Neugier befriedigen kann, wo die Freude am Lernen da ist, und im besten Fall bleibt sie auch darüber hinaus erhalten. Leistungsdruck hat da nichts verloren. Das Gestalten mit Farbe etwa ist immer auch ein Ausdruck von einem selbst. Das ist eine der ersten Varianten, wie sich Kinder ausdrücken können. Ein Instrument zu spielen, braucht viel Übung, um etwas schriftlich auszudrücken, muss man sehr viel älter sein und sehr viel üben. All diese Ausdrucksformen stehen immer mit einem sehr langen Lernprozess in Verbindung. Singen, Tanzen, Malen sind in jedem von uns einfach drin. Damit kann man auch schon ganz früh viel von sich zeigen.

Nikola Köhler-Kroath ist die pädagogische Leiterin des Grazer Kindermuseums Frida & Fred. Sie ist ausgebildete Volksschullehrerin und hat Pädagogik mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik studiert
Nikola Köhler-Kroath ist die pädagogische Leiterin des Grazer Kindermuseums Frida & Fred. Sie ist ausgebildete Volksschullehrerin und hat Pädagogik mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik studiert © Frida & Fred (C)2011 HELGE O. SOMMER