Ein 15 Jahre alter Mord an einer Schülerin hat die Medienwelt verändert. Die amerikanische Radiojournalistin Sarah Koenig vertieft sich noch einmal in den Fall. Sie trifft den mutmaßlichen Täter im Gefängnis, recherchiert im Umfeld, studiert Gerichtsakten. Und macht im Spätherbst 2014 daraus einen mehrteiligen Podcast namens “Serial”. 40 Millionen Menschen hören sich die Serie im ersten Monat an. Damit sind Podcasts im Mainstream angekommen.

Dabei gibt es die Technologie – und den Namen – schon seit Apple 2003, als seinen iTunes-Store eröffnet, wo man nicht nur Musik herunterladen, sondern auch Audioinhalte abonnieren kann, um sie dann am damals frisch entwickelten iPod anzuhören. Verbreiten können diese Inhalte auch kleine, private Absender. Bald besetzen sie Nischen, die große Medienhäuser ignorieren. Denn die meisten Journalisten folgen damals noch ganz anderen Trends.

Immer verfügbar, Länge unbegrenzt

Das Publikum verlange nach verstärkter Visualisierung, meint man. Nach übersichtlichen, leicht verständlichen Präsentationen. Nach originell aufgearbeiteten Wissensinhalten. Also drucken Zeitungen lieber Listen als ausführliche Überlegungen. Das Fernsehen zeigt Kurzinterviews statt Gesprächen und Animationen statt Erklärungen. Dass Menschen eine Stunde oder länger einem Gespräch folgen wollten, glaubt kaum jemand.

Doch sie wollen – und können es, wenn sie Podcasts hören. Im Unterschied zum Radio sind sie immer verfügbar und nicht auf eine bestimmte Sendungslänge begrenzt.

Historisch, politisch, kriminell

So etablieren sich Formate, in denen ausführlich diskutiert wird. Es gibt politische Kommentare, leidenschaftlich argumentiert. Fußballspiele, ausführlich analysiert. Historische Episoden, lebendig erzählt. Es gibt Fachsimpeleien und Lebenshilfe, und – seit Sarah Koenigs “Serial”-Erfolg – auch immer mehr professionell aufbereitete journalistische Inhalte.

Das Podcast-Publikum wächst daher stetig, und immer noch weiter. Wussten vor zehn Jahren nur 37 Prozent der Amerikaner, was ein überhaupt Podcast ist, sind es heute doppelt so viele. Mehr als die Hälfte aller Amerikaner hat zumindest einen Podcast abonniert.

Die letzte Nische der Wahrnehmung

In Österreich hören bereits 27 Prozent der Menschen regelmäßig Podcasts. Ein Grund für den Erfolg ist der technische Fortschritt: Einen iPod nutzt heute kaum mehr jemand. Podcasts lassen sich mit jedem gängigen Handy einfach aus dem Internet streamen, und die mobile Datenübertragung wird immer schneller. Doch es ist mehr als das.

Podcasts nutzen die letzte unbesetzte Nische der Wahrnehmung. Sie sind digital, brauchen aber keinen Bildschirm. Zuhören kann man schließlich auch, wenn die Hände und Augen beschäftigt sind. Sie sind Begleiter auf langen Autofahrten, beim Lauftraining oder im Wartezimmer.

Mit Podcasts kann man beim Sockensortieren einen Kriminalfall lösen, beim Gemüseputzen Inspiration finden, und unter der Dusche Argumente sammeln. Wer mag, kann sich von ihnen sogar in den Schlaf reden lassen. Podcast stillen das Bedürfnis nach Kommunikation und vertreiben die Angst vor Einsamkeit. Mit einer Stimme im Ohr fühlt man sich weniger alleine.

Ohr schlägt Auge

Weil Podcasts eben in privaten Situationen und meistens mit Kopfhörern konsumiert werden, gelingt ihnen noch etwas, womit andere Medien hadern: Sie schaffen Intimität. Man sieht fern, aber man hört nahe. Wer die gesprochene Sprache als Geschwätzigkeit verachtet, tut ihr Unrecht. Gerade in ihrer Ungeschliffenheit schafft sie Nähe und Vertrautheit.
Und sie vermag, was in polarisierten Zeiten von besonders großem Wert ist: Sie kann Grauzonen betreten, Ambivalenzen erklären, in Dialog treten.

Manche Spielarten der Komplexität lassen sich eben besser hör- als sichtbar machen. Die Revolution des Ohres gegen das Auge ist nicht mehr aufzuhalten.

Wann und wo man will

Zudem treffen Podcasts in ihrem Vertriebsweg den Zeitgeist des Medienkonsums: Man bekommt seine ganz spezifischen Inhalte wann und wo mann will. Gratis, oder zur Flatrate. Dazu kommt die Organisation in Staffeln, mit mehreren Episoden, die oft aufeinander aufbauen. Bei mehrteiligen Erzählungen bekommt man mit jeder Episode ein Stück Zukunft dazu.

Je populärer das Medium wird, desto relevanter werden auch die Inhalte. Spätestens seit Barack Obama Anfang 2017 sein letztes Interview als amtierender US-Präsident keinem großen Fernsehsender sondern lieber einem Podcast gab, kann das Medium nicht mehr ignoriert werden. Zu dieser Zeit entdecken die ersten großen Medienhäuser in Deutschland und Österreich Podcasts für sich. Manche Zeitungsverlage leisten sich bereits ein Audio-Team. In britischen und amerikanischen Häusern ist das schon längst Standard.

"Netflix für Podcasts"

Mit dem Erfolg kommt das Geld, und das sorgt dafür, dass die gerade erst erwachte Podcast-Branche schon wieder im Umbruch ist. Zwar ist Apple mit 555.000 verfügbaren Podcasts im iTunes-Store derzeit noch der größte Anbieter, doch die Marktführerschaft ist heiß umkämpft.

Im Vorjahr brachte Google eine eigene Podcast-App heraus und der Streamingdienst Spotify begann, neben Musik auch Podcasts anzubieten. Spotify möchte heuer 500 Millionen Dollar investieren, um eigene Podcastformate zu kaufen und zu entwickeln. Und in Schweden steht der Konzern Luminary in den Startlöchern, der ein “Netflix für Podcasts” werden möchte. Damit geht die Revolution erst richtig los.