Gelassen und entspannt sollte man als Yogatrainer ja allein schon von Berufs wegen sein. Aber wie bleibt man das, wenn man wie Sie ein Gutteil des Jahres aus dem Koffer lebt?
Young-Ho Kim: Grundsätzlich bin ich ja immer entspannt und gelassen. Aber ein paar Regeln hab ich schon für mich. Früher war mir alles egal, da hat mir ein Schlafsack gereicht und ich habe mich von Junk Food ernährt, aber das geht heute nicht mehr. Mein Steuerberater sagt zwar immer: "Herr Kim, Sie geben aber viel fürs Reisen aus". Ohne anständige Hotels und gutes Essen geht es jedoch nicht, wenn man so viel unterwegs ist wie ich. Und es muss immer ein Zimmer mit Badewanne sein, baden brauche ich, um den Tag abzuschließen.

Und kennt jemand wie Sie, der jedes Jahr einmal um die halbe Welt reist, ein klassisches Zuhause und Heimweh überhaupt?
Kim: Auf jeden Fall! Heimat ist für mich dort, wo meine Frau und meine Kinder sind, in Frankfurt. Ich habe für mich auch die 14-Tage-Regel aufgestellt. Wäre ich für Termine länger als zwei Wochen durchgehend von zu Hause weg, dann nehme ich sie nicht an. Wenn ich länger als 14 Tage von meiner Familie getrennt bin, drehe ich durch. Und es geht zwar nicht oft, aber manchmal nehme ich sie auch einfach mit.

Yoga & the City: in diesem Fall in Zürich
Yoga & the City: in diesem Fall in Zürich © @yongsubi

Yoga wird von Männern immer noch oft gerne belächelt. Wohl vor allem, weil es dabei keine messbare Leistung gibt. Was kontern Sie, wenn Ihnen jemand sagt, Yoga sei kein Sport?
Kim: In Deutschland zumindest einmal gar nichts. Denn seit jeder weiß, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft Yoga macht, muss ich dort gar nichts mehr kontern. Aber grundsätzlich muss ich sagen, dass die Skepsis der Männer ihre Daseinsberechtigung hat. Ich verstehe sie absolut, wenn das Yoga zu esoterisch und blumig ist. Beim Yoga gibt es ja auch keine direkten Effekte, und die brauchen Männer meist aber, weil sie einfach viel pragamtischer und ungeduldiger sind. Und deshalb sind Frauen für mich wohl auch einfach intelligenter.

Sie sind mit 13 Jahren von Südkorea nach Deutschland gekommen. Warum?
Kim: Meine Eltern hatten sich damals dafür entschieden, mit uns Kindern Südkorea zu verlassen. Sie wollten einfach, dass wir eine gute Bildung bekommen. Südkorea hat zwar eines der besten Bildungssysteme der Welt. Das hilft dir aber nur, wenn du reich bist – und meine Eltern waren arm. Und weil deutsche Universitäten auch in Südkorea sehr angesehen sind, aber eben nichts kosten, sind wir nach Deutschland gekommen, zuerst nach Bremerhaven und dann nach Frankfurt. Meine Eltern sind im vergangenen Jahr wieder zurück nach Südkorea.

Und wie war die erste Zeit in einem Land, das doch so ganz anders ist als ihre Heimat?
Kim: Es war ein Riesenkulturschock! Es war das erste Mal, dass ich überhaupt aus meiner Heimatstadt hinausgekommen und geflogen bin. Und die Anreise hat 30 Stunden gedauert, weil man damals nicht über Russland fliegen konnte und es deshalb keine Direktverbindungen gab. Ich konnte die Sprache nicht, habe kein einziges Wort verstanden.

Wie findet man, ohne die Sprache zu sprechen, Freunde?
Kim: Über den Sport. Ich war schon in Südkorea sehr erfolgreich beim Taekwondo. Wir waren gerade einmal drei Wochen in Deutschland und mein Vater hat mich gleich zu einem Turnier angemeldet. Da musste ich ja nicht reden, sondern nur kämpfen. Weil ich gleich gewonnen habe, hat es einen großen Artikel in einer Zeitung über mich gegeben. Ab da wollten alle mit mir berfreundet sein, ich war das "Karate Kid" der Schule.

Sie bezeichnen Taekwondo gerne als Ihre erste große Liebe. Wie sind Sie dann zu Ihrer zweiten, zum Yoga, gekommen?
Kim: Ich wollte die Welt entdecken. Und die Welt war für mich der Westen, vor allem die USA. Asien hat mich überhaupt nicht interssiert, das habe ich total langweilig gefunden. Jedes Mal, wenn ich genug Geld zusammen hatte, bin ich in die USA. 1998 war ich in Kalifornien, es war die Zeit des ersten großen Yoga-Booms. Weil dort damals jeder Yoga gemacht hat, wollte ich es auch ausprobieren. Eine Woche lang bin ich in alle möglichen Klassen gegangen – Ashtanga, Bikram, Prana Flow, Anusara, Power Yoga nach Bryan Kest. Ich wollte körperliche Ertüchtigung und Spiritualität verbinden, das war etwas, das mir der Kampfsport nicht geben hätte können.

In Klassen gehen ist ein Sache, selbst welche geben aber eine ganz andere. Wie ist der Wunsch entstanden, Yoga zu unterrichten?
Kim: Ich war vom Kampfsport enttäuscht. Es gab keine Aufbruchsstimmung und Weiterentwicklung, alles war irgendwann in den 1960ern steckengeblieben. Es war aber auch eine sehr weltliche Entscheidung: Mir war klar, dass ich von dem Geld, dass ich beim Taekwondo verdient hätte, nie ein normales Leben führen kann. Und als ich 1998 in Kalifornien war, bin ich in einer Buchhandlung über Rodney Yee gestolpert, einen Yogalehrer, der eine Million Videokassetten verkauft hatte. In jugendlichem Leichtsinn habe ich mir damals gesagt: Ich will der Rodney Yee von Europa werden. Und ich wollte aus der Not eine Tugend machen: Er war chinesischer Abstammung ich aus Südkorea. Mir war klar, dass ich als Asiate in Deutschland immer auffallen werde.

Und dann musste das Studium dem jugendlichen Leichtsinn weichen …
Kim: Ja, ich hatte sechs Jahre Maschinenbau studiert, noch dazu in Aachen, in dem Bereich die Nummer eins in Deutschland und auch in Asien eine sehr angesehene Universität. Es waren nur drei Prüfungen, die mir zum Abschluss gefehlt hätten. Aber ich hatte mich einfach ins Yoga verliebt. Und es ist vielleicht auch eine radikale Form von Zen-Buddhismus, etwas ganz ohne Rettungsanker zu machen, weil man es dann auch durchziehen muss.

Warum spielt der Zen-Buddhismus in Ihrem Leben so eine wichtige Rolle?
Kim: Er ist für mich die klarste Form von Philosophie, ganz ohne Schnickschnack. Geradlinigkeit ist für mich in meinem Leben überhaupt ganz wichtig, das sieht man auch in meinem Studio und meiner Wohnung. Als ich noch in der Schule war, bin ich in den Ferien immer zurück nach Südkorea und habe mit Mönchen gelebt, bin mit ihnen einfach dagesessen und habe meditiert. Eigentlich war mein Plan ja, Zen-Mönch zu werden – aber dann habe ich mich einfach total verliebt.

Der Zen-Buddhismus als Quelle der Kraft
Der Zen-Buddhismus als Quelle der Kraft © @yongsubi

Jetzt zählen Sie zu den gefragtesten Yogalehrern weltweit? Aber wie war einst der Start in der Branche?
Kim: Die ersten fünf Jahre waren richtig scheiße. Ich war ständig blank, konnte die Versicherung für mein Auto nicht bezahlen und bin immer wieder beim Schwarzfahren erwischt worden. Ich habe in einer Woche in acht verschiedenen Studios unterrichtet. Und auch als ich mein eigenes Studio hatte, war der Anfang schwer. Damit habe ich in den ersten Jahren nichts verdient, ich habe es über meine Einnahmen von Workshops refinanziert. Und ich habe im Studio alles selbst gemacht, bin am Empfang gestanden und habe geputzt. Es gibt nichts Stressigeres als finanziellen Druck. Früher hatte ich jahrelang keinen Tag frei, heute leiste ich mir einen freien pro Woche. Der Dienstag ist mein Tag, der gehört nur mir, da mache ich auch kein Yoga.

"Inside Flow" unter freiem Himmel
"Inside Flow" unter freiem Himmel © @yongsubi

Was macht für Sie einen guten Yogalehrer aus?
Kim: Das lässt sich mit einem Wort sagen: Authentizität. Für mich gibt es nichts Widerlicheres als einen Yogalehrer, der etwas vorgibt zu sein, das er gar nicht ist. Das fängt schon bei der Stimme an. Du
hast Leute, die außerhalb des Studios ganz normal mit dir reden und dann ihre pseudoerleuchtete Stimme auspacken. Ein guter Yogalehrer macht auch keine Dinge, die er nur tut, weil sie von ihm erwartet werden. Ich würde etwa nie auf die Idee kommen, Mantras zu chanten, das ist einfach nicht mein Ding.

Hat man als Yogatrainer eigentlich Lieblings-Asanas?
Kim: Hat man: Bei mir ist das der Handstand. Den mag ich so sehr, weil dabei der ganze Körper arbeitet, du verbindest dich von den Finger- bis zu den Zehenspitzen. Und das werden Ihnen alle Handstand-Leute bestätigen: Man wird einfach süchtig danach! Außerdem ist ein Handstand superehrlich, du hast es drauf oder eben nicht – dabei kannst du nichts faken.

Lieblings-Asana: der Handstand
Lieblings-Asana: der Handstand © @yongsubi

Stichwort „faken“: Beim Yoga wird momentan sehr gerne der schöne Schein in Form von noch schöneren Instagram-Bildern zelebriert. Wie stehen Sie dazu?
Kim: Sechsstellige Follower-Zahlen machen noch lange keinen guten Lehrer. Es ist mir selbst auch schon passiert, dass ich mit Referenten, die ich für Veranstaltungen engagiert habe, schlechte Erfahrungen hatte. Der erste Kurs ist dann vielleicht aufgrund der schönen Bilder voll, zum zweiten kommt aber kaum noch jemand, die Leute sind ja auch nicht blöd.

Machen Sie außer Yoga noch etwas für Ihre Fitness?
Kim: Nein, ich mache nur Yoga. Ich haue vielleicht in einen Sandsack, wenn mir einer unterkommt, oder ich gehe aufs Laufband, wenn ich mit meiner Familie auf Urlaub bin und mir langweilig ist. Aber ansonsten mache ich nichts, auch kein Ausdauertraining.

Sie haben einst das mittlerweile größte Studio Deutschlands gegründet. In Ihrer Inside Academy werden Jahr für Jahr Hunderte Lehrer aus- und weitergebildet. Und dann kam auch noch Tint, die Onlineplattform, die über Crowdfunding finanziert wird, dazu. Wie schafft man es bei all den Dingen, dass Yoga irgendwann nicht nur noch Business ist?
Kim: Es ist wohl auch Business, aber es muss einfach immer Spaß machen, es darf nie den reinen Businessgedanken haben. Meine Mutter hat einmal zu mir gesagt: „Young-Ho, das Studio läuft jetzt richtig gut, du hast Familie, kannst du nicht einfach einmal das Leben genießen?“ Nein, kann ich nicht, ich beziehe meine Lebensenergie daraus, dass ich Ideen umsetze und etwas verwirkliche. Ich finde, man muss zwar stets kleine Schritte machen, aber immer groß träumen.

Gibt es eine Idee, die Sie nicht verwirklicht und verworfen haben?
Kim: Ja, ein klassisches Yogabuch zu machen. Ich war sechs Jahre am Schreiben, aber immer unzufrieden damit. Außerdem finde ich, die Welt hat genug Yogabücher, ich selbst lese auch keine mehr, weil sie mich einfach langweilen. Es musste also etwas anderes sein: Es ist jetzt das Hochglanzfotobuch „Yoga 365“ geworden. Mit 365 Bildern aus aller Welt, Zitaten und einer Seite für jeden Tag des Jahres. Dafür war ich drei Jahre lang mit einem ganz tollen Fotografen auf der ganzen Welt unterwegs.

Dieses Bild ist vom Fotografen, der auch die Bilder für "365Yoga" fotografiert hat
Dieses Bild ist vom Fotografen, der auch die Bilder für "365Yoga" fotografiert hat © @yongsubi
Nicki Vellick war einst eine der ersten Schülerinnen von Young-Ho Kim. Im Jänner kommt er in ihr Studio nach Graz
Nicki Vellick war einst eine der ersten Schülerinnen von Young-Ho Kim. Im Jänner kommt er in ihr Studio nach Graz © Roland Banko

Young-Ho Kim wurde am 4. Juni 1976 in Südkorea geboren. Vor elf
Jahren gründete er das Studio „Inside Yoga“ in Frankfurt,
vor rund drei Jahren kam die Premium-Onlineplattform TINT
(„There is no try“) dazu. Der "Inside Flow", ein Potpourri an körperlich fordernden Yoga-Haltungen, die untermalt von Popmusik eine Choregrafie ergeben, wurde von ihm erfunden.
insideyoga.de, tintyoga.com,
Instagram: @insideyoga

Von 11. bis 13. Jänner 2019 unterrichtet Young-Ho Kim bei den Yogadays im Studio „Yogalife“ von Nicki Vellick
in Graz.yoga-life.at,
Instagram: @yogalife_graz