Millionen Kinder gehen jeden Tag mit Hunger ins Bett. Millionen Kinder schuften täglich unter den schlimmsten Bedingungen in Fabriken und auf Plantagen, um ihren Familien beim Überleben zu helfen. Millionen Mädchen werden gegen ihren Willen verheiratet, jedes Jahr sterbe 70.000 minderjährige Mädchen während der Schwangerschaft oder Geburt. Millionen Kinder werden an Bordelle und als Haushaltshilfen verkauft. All diese Kinder sind Beweis dafür, dass zwischen der weltweiten Akzeptanz der Kinderrechte und ihrer Verwirklichung immer noch eine große Lücke klafft.
Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die sogenannte UN- Kinderrechtskonvention. Demnach erhielten Kinder weltweit verbriefte Rechte – auf Überleben, Entwicklung, Schutz und Beteiligung. Bis auf die USA haben alle Staaten die Konvention ratifiziert. In Österreich war es 1992 so weit, ein Bruchteil der Rechte steht seit 2011 auch in der Verfassung.

Doch selbst das bedeutet nicht, dass für die Kinder in der westlichen Welt alles in Ordnung sind. „Eine Konsumgesellschaft, die alles dem Nutzen und der Wirtschaftlichkeit unterordnet, hat längst erkannt, dass sich auch die Kindheit kommerzialisieren lässt“, betont die Wiener Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger, „in der westlichen Welt wird mit Kindern, über Kinder und durch Kinder rückhaltlos verdient, mit der Folge, dass auch bei uns einige Kinderrechte unter die Räder kommen.“

Eine gesunde Entwicklung

Wie zum Beispiel das Recht auf gesundes Aufwachsen. Vorenthalten werde das vor allem Kindern, die schwer übergewichtig sind und heute schon Vorstufenbefunde auf spätere chronische Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, schwere Diabetes aufweisen. Laut einer weltweiten Studie waren 2016 124 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 19 Jahren adipös, also schwer übergewichtig. Tendenz steigend. In Österreich ist fast jeder Drittklässler und jede vierte Drittklässlerin übergewichtig.
Auch im Umgang mit modernen Medien sieht Leibovici-Mühlberger eine Verletzung der Kinderrechte. „Obwohl wir aus der Forschung längst wissen, wie negativ moderne Medien auf die kindlichen Entwicklung wirken, tun wir nichts, um die Kinder davor schützen.“ Die Teletubbies sind kein Sprachförderprogramm, das Smartphone taugt nicht als Babysitter. „Wir müssen endlich deutliche Empfehlungen aussprechen und Eltern klarmachen, dass diese Medien der kindlichen Entwicklung schaden“, betont die Psychotherapeutin.

Aus dem Blickwinkel der Kinder

Handlungsbedarf sieht sie auch im Umgang mit Scheidungen und Trennungen. Bei einer Scheidungsrate von derzeit über 41 Prozent seien davon jährlich viele Kinder betroffen. „Doch nach wie vor stecken wir in diesen Bereich zu wenig Energie, um zu einer geordneten Trennungskultur zu finden, die das Kind als Hauptbetroffenen erkennt, und dieses Thema in einem interdisziplinären Zusammenwirken zwischen Rechtssystem und Psychologie aufsetzet,“ sagt Leibovici-Mühlberger, die sich für ein Kinderministerium ausspricht. „Dieses Ministerium würde Verträglichkeitsprüfungen der Gesellschaft durchführen, und das aus dem Blickwinkel der Kinder, ausgerichtet auf die wahren Bedürfnisse der Kinder. Das wäre ein ehrlicher Umgang mit den Rechten der Kinder.“

Kritik an der Politik

Auch Hilfsorganisationen orten Handlungsbedarf im Umgang mit den Kinderrechten und üben anlässlich des heutiges Tages der Kinderrechte scharfe Kritik an der Politik der türkis-blauen Regierung. Die Regierung plane „mit der völligen Verantwortungs-Abgabe der Kinder- und Jugendhilfe an die Bundesländer einen massiven Rückschritt in Bezug auf österreichweite Kinderrechte“, warnte etwa der Dachverband der Jugendhilfeeinrichtungen. Ähnlich kritisch zeigt sich auch die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga). „Maßnahmen der Bundesregierung wie Kürzungen von Sozialleistungen, Ausgrenzung von Familien oder Jugendlichen mit Fluchtbiografie und Rückschritt in ein Zwei-Klassen-Schulsystem fördern die Kluft zwischen Reich und Arm. Es ist ausreichend bekannt und belegt, dass Armut krank macht. Die Leidtragenden sind die Kinder. Von Chancengerechtigkeit kann da keine Rede sein“, erklärt Christoph Hackspiel, Präsident der Kinderliga. Er fordert die Etablierung eines Bundeskinderbeirates.

Recht auf Bildung

Aktionen rund um den Kinderrechtetag hat auch die katholische Jungschar geplant. Heuer steht mit dem Motto „Ich will’s wissen“ das universelle Recht auf Bildung im Mittelpunkt. „Alle Kinder in Österreich sollen Zugang zu vielfältigen Bildungsangeboten haben, unabhängig davon, in welchem familiären, sozialen oder wirtschaftlichen Bedingungen sie leben“, betonte KJS-Bundesvorsitzende Stephanie Schebesch-Ruf.