Der einhundert Jahre alte Fotoapparat von Kodak, der weggesperrt hinter einer Kordel auf der eleganten Kommode liegt, zeugt davon: Xenia, Tochter von König Nikolai, war Fotografin. „Sie war unverheiratet und emanzipiert“, erklärt Mikica Vujović, die das Museum im Königspalast von Montenegro in Cetinje leitet. „Xenia war die erste Frau am Balkan, die ein Auto lenkte. Das war 1908.“

Mediterranes Flair

110 Jahre später präsentiert sich auch das Land selbst emanzipiert wie selten zuvor. Seit dem Ende des Sozialismus und der Unabhängigkeit von Serbien im Jahr 2006 floriert die Wirtschaft. Der Tourismus boomt – vor allem entlang der Adriaküste, die sich als wahres Schmuckstück entpuppt. Der Hochkaräter ist wohl die fjordähnliche Bucht von Kotor. Das Karstgebirge, das sich entlang der Küste rund 880 Meter in die Höhe schraubt, gibt einen berauschenden Blick frei: Das azurblaue Wasser geht sanft in die grauen Felsen über, entlang der Küste reihen sich mediterrane Gebäude. Durch die Jahrhunderte andauernde Herrschaft von Venedig sticht der venezianische Einschlag ins Auge.Ebenso die türkisfarbene Kuppel einer kleinen Kirche, die inmitten der Bucht auf einer Felsplatte schwimmt. St. Marien sei die einzige künstliche Insel im südlichen Adria-Raum, erklärt FremdenführerinJelena Jabučanin, sie wurde auf 160 Segelschiffen erbaut. Im 17. Jahrhundert errichtet, leuchtet die Kapelle seither über die Bucht. „Sie ist die kleine montenegrinische Sixtinische Kapelle, die Gemälde im Inneren erinnern an Michelangelo“, sagt Jabučanin. Gedacht war die Kapelle als Geschenk an die Heilige Maria, um für die Seemänner zu beten. Heute beschenken Bräute Maria vom Felsen, weil sie für eine gute Ehe bitten.

Eine weiteres Juwel wartet am Ende der Bucht: die malerische Altstadt von Kotor. Labyrinthähnlich schlängeln sich enge Gassen durch das kleine, charmante Städtchen. Original und noch nicht überlaufen, lässt es sich hier gut aushalten. Kaffeehäuser laden ein, die venezianischen Gemäuer zu genießen. Jabučanin erzählt die Geschichte der historischen Bauwerke: Wie die Osmanen versuchten, über Montenegro nach Kotor zu kommen, aber es nie über die Stadtmauer schafften.

Für die Massen und für die Reichen

Die Altstadt von Budva, rund eine halbe Autostunde entfernt, gleicht jener in Kotor. Doch die Inszenierung für die Touristen hat das venezianische Flair übertüncht. Die alten Gebäude wirken steril, in ihnen reihen sich Souvenirläden an Bars und Restaurants. Für den Massentourismus ist das kommerzielle Budva mittlerweile bekannt – und gut besucht. Wie frisch poliert strahlt der historische Kern, umgeben von zahllosen Hotels, die makellos aus dem Boden sprießen.

Nicht für die Massen, sondern die Reichen, ist Tivat. Dort liegt das Luxusprojekt Porto Montenegro, ein mondäner Jachthafen. Chanel und Versace warten in den penibel herausgeputzten Neubauten auf Käufer, die in schicken Hotels nächtigen. Und direkt vor den Haustüren ankern Jachten, wie etwa jene von Tennis-Star Novak Đoković. Es ist das kleine Monte Carlo von Montenegro.Der Luxus verschwindet aber schnell hinter der nächsten Windung, sobald das Leihauto die Serpentinen von der Küste ins Karstgebirge empor klettert. Karges Land liegt voraus. Das kleine Montenegro, das in Summe nur 13.800 Quadratmeter misst, liegt im südöstlichen Gebiet des Dinarischen Gebirges. „Montenegro ist steinreich“, witzelt Tourismus-Experte Andri Stanović, „Es ist das Land der Steine.“ Vorbei an Cetinje und der Hauptstadt Podgorica, führen die gewundenen Straßen durch zusehends hochalpines Gelände. Das Land in den zahlreichen Naturgebieten ist unberührt und schwächer besiedelt als an der Küste.Im Norden buhlen bis zu 2000 Meter hohe Gipfel mit bewaldeten Canyons um die Aufmerksamkeit. Durch den Nationalpark Durmitor schlägelt sich etwa der klare Fluss Tara, mit 1343 Metern ist der Canoyon der tiefste Europas. Dort, wo der Fluss den Skiort Žabljak kreuzt, spannt sich die imposante Tara-Brücke über die Schlucht. „Sie hat mit 116 Metern einen der längsten Bögen auf der Welt“, erklärt Fremdenführerin Miljana Pješivac.

Abenteuer im Norden

In Žabljak lockt aber auch der weitläufige Schwarze See immer mehr Gäste an. Dabei passt der wachsende Tourismus so gar nicht in den Norden, wo die kleinen Häuser und Dörfer in ihrer Bauweise an das alte Jugoslawien und den Balkan erinnern. Doch in den kommenden Jahren, sagt Pješivac, werden etwa in Žabljak weitere Hotels gebaut. Das Potenzial sei da.