Es ist zwar schon ein Weilchen her, aber Platon hat noch immer recht: „Der Mensch ist ein zweifüßiges Tier, das ungefiedert ist.“ Diagnose: total flugunfähig. Genau hier beginnt die Sehnsucht, die den Menschen vermutlich seit Anbeginn seiner Existenz quält – einfach abheben, eine Leichtigkeit verspüren, sich nach oben erheben, dort, wo es scheinbar keine Grenzen gibt. Und die Sehnsucht wird umso drängender, je konkreter wir wissen, dass es so bald nichts wird mit der Erfüllung eines Wunsches.

Ein gewisser Sir Isaac Newton warf 1686 die Menschen mit seiner Erkenntnis dann endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück: Es ist die Schwerkraft, die den Menschen an die Erde bindet. Der alltägliche Abflug in lichte Höhen – er bleibt also weiter ein Wolkenkuckucksheim. Ganz im Gegensatz zu den Himmelskonzepten der monotheistischen Religionen. Für sie ist der Himmel ein Ort, an den die Seele eines Verstorbenen wandert, so weit herrscht Einigkeit. Seine Architektur und Ausgestaltung ist jedoch so unterschiedlich wie die Religionen selbst. Auch im Christentum gibt es viele Varianten eines solchen Himmels. Die Grundidee bleibt die gleiche – der Himmel ist jener Ort, an dem sich die zentrale Botschaft des Christentums manifestiert: die Auferstehung. Es ist die tröstende Aussicht nach dem Tod. Doch wie sieht dieser Himmel eigentlich aus? Hell, freundlich, mit oder ohne Engel, Pflanzen, Tiere – ein Elysium gar, eine Insel der Seligen?

Die Architektur des Himmels

Jesus selbst blieb ob seiner Vorstellung darüber vage – zentral war für ihn die Beziehung zu Gott und anderen religiösen Vertretern, darunter Abraham. Bisherige Bande – darunter verwandtschaftliche – spielen keine Rolle. Eine konkrete Art Himmels-Grundarchitektur finden wir in der Offenbarung des Johannes, der nach der Apokalypse von einem „neuen Jerusalem“ spricht. Es ist eine Vision, die ein sehr menschliches Bild des Himmels zeichnet: mit einem göttlichen Thron, Engeln, Menschen aller Stämme Israels, gleißendem Licht, Wasser und Lebensbäumen. Es ist ein Grundgerüst, das für viele Menschen greifbar und begreifbar ist. Vor allem, wenn es bisweilen überlebensgroß die Decken von Gotteshäusern schmückt. Ein theoretischer Sakralbau im Sakralbau. Die wohl sinnlichste Form des Himmels ist jener der Renaissance. Man würdigt Freude und Glück, es gibt den Paradiesgarten zum Vergnügen und die Himmelsstadt zur Verehrung Gottes.

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Ausschnitt aus dem "Jüngsten Gericht" in der Sixtinischen Kapelle © (c) EPA (Paolo Cocco)

Es ist die Zeit, als Michelangelo Buonarroti den Auftrag zur Erschaffung eines monumentalen Gemäldes in der Sixtinischen Kapelle erhält: „Das Jüngste Gericht“. Als er 1541 fertig ist, kommt es zum Skandal, seine freizügige Darstellung der Figuren stößt auf Unverständnis, es folgen Übermalungen. Die theoretische Diskussion lässt sich davon nicht beeindrucken, man debattiert sogar darüber, ob es im Jenseits nicht auch ein „aktives Leben“ geben soll, wie Dionysos der Karthäuser meint. Die Denker der Renaissance hatten – salopp gesagt – auch ein Problem mit der fehlenden Reisefreiheit: Bartolomeo Facio vertrat sogar die Theorie, dass die Bewohner des Himmels auch Ausflüge in die irdische Welt unternehmen. Dieser umtriebige Himmel steht im krassen Gegensatz zum sogenannten Empyreum – einem Ort des reinen Lichts, der nicht nur Dante begeisterte, sondern auch dem Konzept nahekommt, das Theologen heute vom Himmel zeichnen.

"Die Erschaffung Adams" von Michelangelo © (c) AP (PLINIO LEPRI)

Besonders originell waren die Vorstellungen über den Himmel im 19. Jahrhundert. Beseelt und getrieben vom Fortschrittsgedanken, glich er einer geschäftigen Großstadt. Oder wie es der britische Baptistenprediger Charles Spurgeon 1857 definierte: „Nur einige Faulpelze können sich mit dem Gedanken befreunden, der Himmel sei zum Ausruhen da.“ Manch einer ging es sogar logisch an, wie der US-Prediger Thomas De Witt Talmage. Theoretisch, so der Denker, müsste es im Himmel eine gigantische Anzahl von Seligen geben, die für ein volles Haus sorgt. Oder in seinen Worten: „Der Himmel bietet jetzt mehr: mehr Verzückung, mehr Wissen, mehr Kommunikation und mehr Gottesdienst.“ Er hätte sein Geld gut und gerne auch als Werbeprofi verdienen können. Und noch etwas beschäftigte ihn: „Der Himmel ist voll von Kindern. Tatsächlich sind sie in der Überzahl. Wenn schon ein Kind kaum eine halbe Stunde lang stillstehen kann, wie will man das von 500 Millionen Kindern erwarten?“ Ein berechtigter Einwand.

Das Spiel der Wolken

Etwa zur gleichen Zeit läutete die Faszination des realen Himmels eine kunsthistorische Revolution ein: Die sogenannten Impressionisten wie Monet, Renoir oder Sisley kehrten dem Atelier den Rücken und huldigten dem Himmel, den Wolken, dem Licht. Man malte „en plein air“, also unter freiem Himmel, und befreite sich vom starren, theoretischen Gerüst der akademischen Malerei. Vor allem das Wechselspiel der Wolken, der Hauptdarsteller im Spiel der Vergänglichkeit, faszinierte die Künstler. Dieses Phänomen der Flüchtigkeit wird im Alltag selten gerühmt, gelten Wolken doch gerne als Vernebler des blauen Himmels.

Claude Monet:
Claude Monet: "Waterloo Bridge", 1903 © (c) EPA (Ho)

Eine Darstellung, gegen die sich auch die englische „Cloud Appreciation Society“, die Gesellschaft zur Wertschätzung der Wolke, vehement ausspricht. Schon über 30.000 Mitglieder wollen den Himmelsgebilden zu einem besseren Ansehen verhelfen. „Wir glauben, dass Wolken zu Unrecht schlecht gemacht werden und dass das Leben ohne sie unendlich ärmer wäre“, so das Gründungsmanifest des Clubs. Zumindest eines könnten wir uns von ihnen schon abschauen, nämlich die Schönheit des Augenblicks auf Erden zu genießen. Ob es davon im Himmel eine Fortsetzung gibt? Wir werden sehen.