Bei Odin! Es ist immer das gleiche Spiel - ist der Ruf erst ruiniert, lästern andere ganz ungeniert. Die Wikinger können ein Lied davon singen - oder auch brüllen, wie böse Zungen behaupten. Seit über 1000 Jahren hält sich nämlich wacker die Mär von der ungehobelten, brutalen und brandschatzenden Bande, die Europa vom Ende des 8. Jahrhunderts bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts in Atem gehalten hat. Seit damals ist viel Menschheitsgeschichte passiert und doch lassen sie uns nicht los. Es geht uns wie mit den damaligen Bewohnern europäischer Küstenorte, die oft nicht einmal mehr "Wikinger!" schreien konnten, denn die schlauen Piraten standen da schon längst vor der Haustür.

"Vikings", "Thor" und "The Last Kingdom"

Im Entertainmentsektor feiern sie seit Jahren ein Comeback in Dauerschleife - von Marvels "Thor" über den Serienhit "Vikings" bis zur aktuellen Netflix-Serie "The Last Kingdom" - die Wikinger in Funk und Fernsehen eifern ihren Vorfahren nach - sie sind gekommen, um zu bleiben. Immer mit dabei: ihr schlechter Ruf, der nicht zuletzt auch ein Produkt filmischer Aufarbeitung ist.

Wikinger-Experten raufen sich mitunter die Haare: "Ich hab zwei Folgen der Serie ,Vikings' unter großen körperlichen Schmerzen angeschaut", lacht Rudolf Simek, der zahlreiche Bücher über die Wikinger geschrieben hat. Neben klaren inhaltlichen Fehlern ist es vor allem das Bild, das von ihnen transportiert wird: "Die Wikinger waren ja nicht irgendwelche Bauern, die nicht über den nächsten Waldrand hinausgeschaut haben, sondern haben - um es salopp zu sagen - die halbe Welt bereist", rückt Simek das gestörte Bild zurecht. Ein Bild, das oft auch die Annahme beinhaltet, die Wikinger wären ein einheitliches Volk gewesen.

Rudolf Simek
Rudolf Simek © Rudolf Simek

Das nordische Wort "vikingr" heißt eigentlich nichts anderes als "Seeräuber", über die Jahrhunderte entwickelte sich nach und nach jedoch die Bezeichnung für die skandinavische Bevölkerung der damaligen Zeit. Menschen einer Region, die durch Handwerk, Scharfsinn und ausgefeilte Strategien im Rekordtempo expandierten. "Gewinnmaximierung" und "Meister der Effizienz" nennt es Simek. Sie schlugen keine unnötigen Schlachten bei Chancenlosigkeit und bedienten sich eines technischen Meisterwerks, das Wissenschaftler noch heute in Erstaunen versetzt: das Wikingerschiff.

Noch heute ein Maßstab

Die Bauweise der Holzschiffe war zu dieser Zeit einzigartig: Die Schiffe konnten durch Rudern oder Segeln fortbewegt werden und waren sogar hochseetauglich. Ihre Flachbodigkeit erlaubte sogar ein Anlegen an Stränden sowie das Hinauffahren von Flüssen - perfekter kann man seine Feinde nicht überraschen. "Die Schiffe konnten auch gegen den Wind kreuzen, eine Eigenschaft, die selbst bis ins 20. Jahrhundert nur ganz wenige Schiffe hatten - und wir sollten nicht vergessen, dass das über 1000 Jahre her ist", schwärmt Simek. Während die Schiffe der Nordmänner gut erforscht sind, können in anderen Themenbereichen nur Mutmaßungen angestellt werden. Schlichtweg fehlen archäologische Beweise, die die Erzählungen späterer Chronisten und Dichter untermauern könnten. Darunter auch die Frage nach der Bedeutung der Mythologie für die Wikinger.

Wie hielten sie es also mit Odin, Thor und Walhall? "Das mit der Religiosität hält sich sehr in Grenzen, auch wenn es gerne anders behauptet wird." Gleiches gilt übrigens für die Menschenopfer - macht sich im Film zwar gut, ist aber wissenschaftlich gar nicht belegt. Den Mythos entzaubert das jedoch nicht, ganz im Gegenteil, es verbreitert sogar den Raum für unterschiedlichste Interpretationen. Das ist auch der Nährboden dafür, dass die Wikingerzeit nicht nur in Hollywood eine große Zahl von Fans hat: "Sie stehen für eine Welt, die zwar einerseits mit Abenteuern lockt, aber gleichzeitig auch überschaubar ist. Eine Welt, die - im Gegensatz zur heutigen - nicht überfordert", so Simek. Ein romantischer Zugang, der eigentlich der Weiterentwicklung der Wikinger nicht entspricht. Denn durch Expansion und die nachfolgende Gründung von Königreichen hatten sie sich von Plünderern zu Händlern gemausert. Die Strategie der gewalttätigen Überfälle wurde obsolet, aber diese geschichtliche Tatsache schadet nur dem schlechten Ruf.

Wie wohl auch die hartnäckigste Legende einsame Spitze ist: Die Wikinger trugen auf ihren Helmen nämlich niemals Hörner. Dieses Märchen verdanken wir Richard Wagner, er setzt im "Ring der Nibelungen" Wikingern und Walküren die Hörner auf - bis heute.

WIKINGER ZUM NACHSEHEN

Travis Fimmel spielt Ragnar Lothbrok in der Serie
Travis Fimmel spielt Ragnar Lothbrok in der Serie "Vikings" © History Channel/Jonathan Hession
Uthred schließt sich Alfred von Wessex an
Uthred schließt sich Alfred von Wessex an © BBC America/Vermes Kata