Die Konkurrenz ist mächtig: Alljährlich zur Weihnachtszeit bekommt der beeindruckende Berliner Dom Konkurrenz – von einem Esel und einem Ochsen. Bis zum 24. Dezember steht das tierische Duo ganz allein in einer Seitenloge des Doms, erst dann folgen die Heilige Familie und die Hirten mit ihren Schafen. Am 6. Jänner komplettieren die Heiligen Drei Könige die Krippe. Dass Esel und Ochs die Hauptlast an Repräsentanz tragen, kommt nicht von ungefähr: Es ist die Symbolkraft der Tiere, die Annabelle Schuster, die das Konzept hinter der Neuaufstellung der Krippe geliefert hat, fasziniert: Esel und Ochsen verkörpern symbolisch den Lebensweg von Jesus Christus als Lastenträger und Opfer für die Menschheit.

Da steht er nun also im gleißenden Licht. Er, der nach menschlicher Zuschreibung eigentlich alles, nur keine Rampenlichtqualitäten besitzt: störrisch, ungrazil, von unscheinbarem Grau. Eigentlich die undankbare, klassische Statistenrolle. Dabei ist der Esel charakterlich ein ganz Großer, der seit über 5000 Jahren an der Seite der Menschen auf seinen Durchbruch wartet. Mit Geduld, nicht mit Unterwürfigkeit. „Der Esel ist ein besonderes Tier mit besonderen Eigenheiten. Er ist ein Tier für die Seele“, streut Ulrike Knabl, Obfrau der Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Eselzüchter, dem Vierbeiner Rosen. Elf Esel tummeln sich auf ihrem Bauernhof in Pirk bei St. Andrä in Kärnten.

Alles reine Verhandlungssache

Berühmter Esel: Banksy verewigte ein Grautier in Bethlehem
Berühmter Esel: Banksy verewigte ein Grautier in Bethlehem © (c) EPA (Jim Hollander)

Auch Knabl musste durch die harte Eselsschule gehen, als 1992 mit Moritz die erste graue Eminenz den Weg auf den Hof fand. Erste und wichtigste Lektion: Wer beim Esel mit dem Kopf durch die Wand will, holt sich maximal Kopfweh. „Dass nur der Mensch bestimmt, das funktioniert mit dem Esel nicht. Er ist nicht wie jedes andere Nutztier zu behandeln. Ich vergleich das gerne so: Der Esel ist wie eine Katze und das Pferd ist wie ein Hund. Einer Katze kann man ja auch nicht alles aufzwingen.“

Es braucht also Beziehungs-, Erziehungs- und nicht zuletzt Überzeugungsarbeit. Denn der Silberrücken ist vor allem auch ein Analytiker, der seine Umgebung fortwährend beobachtet und einschätzt. Eine Eigenschaft, die ihm bisweilen negativ ausgelegt wird. Dabei ist der scheinbar störrische Esel, der sich keinen Millimeter rührt, eine reine Vorsichtsmaßnahme – die er vor allem in Sachen Bodenbeschaffenheit anwendet. Da ist das Langohr heikel, auch schöne Zebrastreifen überzeugen ihn nicht wirklich. Aber ist der menschliche Teamspieler vertrauenswürdig, lässt sich fast jede Hürde meistern: „Wenn ein Esel Vertrauen zum Menschen hat, dann tut er wirklich viel“, erklärt Knabl, deren Esel unter anderem Wanderbegleiter sind und vor die Kutsche gespannt werden.

Sympathieträger: Esel aus der Filmreihe Shrek
Sympathieträger: Esel aus der Filmreihe Shrek © Paramount Pictures


Neben einem Elefantengedächtnis („Der Esel vergisst nie etwas“) und einer Neigung zur sympathischen Schlitzohrigkeit (Charakterstärke!) ist der Esel auch ein verdammt mutiger Typ. Das fehlende Fluchtverhalten, das vielen Pferdefreunden nach einem Abgang oft schmerzlich bewusst wird, macht den Esel zum idealen Aufpasser – unter anderem für Schafherden. Ohrenbetäubendes Kampfgeschrei und Vorderhuf-Attacken können selbst den mutigsten Wolf in die Flucht schlagen.

Klingt also nach ziemlich bestem Freund. Aber einem mit lebenslanger Freundschaft, wie Knabl betont. Immerhin wird ein Esel zwischen 40 und 50 Jahre alt. Ein Generationenprojekt für „Eselmenschen“, wie die Expertin echte Langohr-Fans bezeichnet. War Esel Moritz für ihre Tochter stets ein treuer Begleiter durch ihre Kindheit, ist er es mittlerweile auch für deren eigene Kinder. Ein Familienmitglied, das nicht unbedingt im Rampenlicht stehen muss. So ist das abseits von Hollywood – die wahren Helden stehen nicht gerne im Mittelpunkt. Aber das ist alles eine Frage des Charakters.