Vor gut hundert Jahren kam es in Graz zu blutigen Unruhen, bei denen 16 Menschen starben und eine Reihe weiter Personen verletzt wurden. Auslöser für die unter dem irreführend harmlosen Namen „Kirschenrummel“ in die Geschichte eingegangenen Ereignisse waren überzogene  Obst-und Gemüsepreise, die sich eine Gruppe von Frauen in der krisengeschüttelten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr gefallen lassen wollten und zur Selbsthilfe griffen, in dem sie die Standler auf dem Kaiser-Josef-Markt handgreiflich zur Senkung der Preise nötigten. Daraus entwickelte sich ein militanter Protestzug durch die Stadt, der schließlich auf dem Murplatz, dem heutigen Südtiroler Platz, unter den Kugeln der Exekutive in der Katastrophe endete.

Regisseure Florian Kutej, Dirigent Stefan Birnhuber und Ausstatterin Andrea Meschik haben den „Kirschenrummel“ im Rahmen der Schiene „Oper in der Stadt“ zu einem  abendfüllenden, musiktheatralischen Stadtspaziergang verarbeitet. Bei der Premiere am Samstag spielte das Wetter mit und so versammelte sich eine ansehnliche Publikumsschar unter der Glasbrücke neben der Oper, um das künstlerische Re-Enactment der Geschehnisse vom 7. Juni 1920 an mehreren Stationen in der Innenstadt mitzuverfolgen. Bereits auf dem Kaiser-Josef-Platz, wo sich die Performance zwischen die dort weilenden Skater und die Open-Air-Gastronomie drängte, offenbarte sich die Unmittelbarkeit des  Spielformats.

Gesang und Musik wurden größtenteils von Studierenden der Kunstuniversität bestritten, wobei Christina Brunner, Gregor Schuster, Tomris Lahusen und Anna Marie Schneider in den Rollen des realen historischen Dramas ebenso brillierten wie das von Birnhuber geleitete neunköpfige, gemischte Straßenensemble. Performativ und gesanglich unterstützt wurden sie von der Opern-Statisterie sowie von zwei Chören.

Musikalisch griffen Birnhuber und Kutej auf heute selten Gehörtes aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zurück, wobei vor allem die Vielseitigkeit Hanns Eislers und seiner wechselnden Textdichter von Bertold Brecht über Karl Kraus bis Kurt Tucholsky den Zeitgeist der Zwischenkriegszeit und ihre gesellschaftlichen Verwerfungen perfekt widerspiegelten. Die aus Zeitungsberichten, Zeugenprotokollen und literarischen Vorlagen zusammengestellten Erzähltexte fielen aufgrund der Spielsituation mitunter leider mangelnder Verständlichkeit zum Opfer.

Das eindringliche Finale im Kunsthaus, wo der aus heutiger Sicht beschämende Prozess nach dem Aufruhr nachgespielt wurde, konnten nur jene miterleben, die sich eines der 150 rosa Bänder gesichert hatten, die vor Beginn der Vorstellung gratis verteilt wurden.

Weitere Termine: 29.5., 5.6. Start um 18.30 Uhr bei der Oper.