„Kreativität ist verletzlich“, heißt es an einer Stelle des neuen Romans des Bestsellerautors Karl Ove Knausgård. Das mag stimmen, aber der Kreativitätsnachschub des Norwegers – seit seiner exzessiven, brutal ehrlichen, ultrapersönlichen und mehrbändigen Selbstumkreisung „Mein Kampf“ ein Popstar der Literatur – ist offenbar ungebrochen. Und das bei diesem Pensum! Unter 600 Seiten pro Buch gibt es der 55-Jährige nicht, doch erstaunlicherweise leidet die Qualität nicht unter der Quantität.

Auf sieben Bände ist sein „Morgenstern“-Zyklus angelegt, dessen dritter Teil mit dem Titel „Das dritte Königreich“ soeben erschienen ist. Das Ganze ist – ganz der gängigen Literaturmode entsprechend – als Dystopie angelegt, doch so billig lässt Knausgård seine Leserschaft nicht davonkommen. Der drohende Weltuntergang – symbolhaft angedeutet durch das plötzliche Auftauchen eines neuen Sterns – vollzieht sich gleichsam im Zeitlupentempo und die Bedrohung leckt nur unterschwellig am Leben. Die Menschheit weiß, dass etwas nicht stimmt, dass die Welt immer mehr aus den Fugen gerät, doch es scheint niemanden zu kümmern. Von wegen Fiktion. Willkommen in der Wirklichkeit.

Aber auffällig ist es schon, dass plötzlich niemand mehr stirbt. Bestatter Syvert fällt das berufsbedingt als Erstem auf. Der Polizist Geir hat es - das ist die blutige Ausnahme vom „Nicht-Sterben“ - mit dem grausigen Ritualmord an drei Mitgliedern einer obskuren Rockband zu tun. Der Neurologe Jarle wiederum versucht, das Bewusstsein, das Ich und das Dunkel der Seele im Licht der Wissenschaft zu erforschen. Nebenbei hört er gerne Schubert. Den kleinen Lapsus, dass Knausgård aus unserem Franzl einen deutschen Komponisten macht, wollen wir dem Norweger verzeihen. Und dann, den mysteriösen Morgenstern möglicherweise verinnerlicht, wäre da noch die fragile Künstlerin Tove, die psychisch schwer lädiert ist und Stimmen hört. Ihre Geschichte und ihre Zustände sind der Anker eines Erzählstroms, der uferlos dahinfließt. Wohin, weiß man bei Knausgård naturgemäß nie.

Es ist wieder diese eigenartige, eigenwillige, aber eben faszinierende Mischung aus banalen Alltagsszenen und beigemengten Exkursen über Philosophie, Geschichte, Sozialkunde und Religion, die den Reiz dieses Sounds ausmacht. Um Metaphysik, Mord, Moral und Marmeladenbrote unter einen Hut zu bringen, muss man schon Knausgård heißen.

Der neue Stern leuchtet indessen weiter am Himmel. Und auf Erden geht alles seinen gewohnten Gang. „Die Menschen wollen Mysterien, wollen das Unbekannte“, heißt es im Roman. Damit kann Knausgård dienen.

Karl Ove Knausgård. Das dritte Königreich. Luchterhand, 651 Seiten, 28,80 Euro.

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