Reale Personen zu spielen ist nie leicht, davon ist auch Melanie Lynskey fest überzeugt. „Ich stelle es mir sehr seltsam vor, wenn dich plötzlich jemand anders verkörpern soll“, erzählt uns die sympathische Neuseeländerin, die mit 16 Jahren an der Seite von Kate Winslet im Psychodrama „Heavenly Creatures“ ihre Karriere begann. Unter der frühen Regie von Tolkien-Versteher Peter Jackson. Auf Sky ist sie derzeit im neuen Holocaust-Drama „The Tattooist of Auschwitz“ zu sehen, eine Nacherzählung der Lebensgeschichte von Lale Sokolov, einem jüdischen KZ-Häftling, der seinen Mithäftlingen die Identifikationsnummern auf den Arm tätowieren musste. In eine der jungen Mitinsassinnen, die junge Gita, sollte er sich verlieben und sie später auch heiraten.

Harvey Keitel verkörpert in der Serie Lale Sokolov
Harvey Keitel verkörpert in der Serie Lale Sokolov © IMAGO/Supplied by LMK

Lynskey stellt in der Miniserie Heather Morris dar, die Autorin hinter dem Roman, dem das hier Erzählte zugrunde liegt. Bis zu seinem Tod im Jahr 2006, hatte sich die Australierin mehrfach mit Lale getroffen, um dessen persönlichen Erlebnisse mit der Nachwelt zu teilen. Da sie sich für den Part gebührend vorbereiten wollte, hat Lynskey viel Zeit mit der echten Heather Morris verbracht und ihr nahezu familiäres Verhältnis zum Protagonisten angemessen zu würdigen versucht. „An einem Punkt meinte sie, Lale wäre die wichtigste Person in ihrem Leben gewesen. Mir war es ein Anliegen, die Wichtigkeit dieser Beziehung korrekt darzustellen.“

Für die Mimin ist das Drama bei weitem nicht der erste Ausflug in die Welt des Fernsehens, einem breiteren Publikum war sie als exzentrische Rose in der Kultsitcom „Two And a Half Men“ (2005-2012) bekannt geworden. In den letzten Jahren konnte man ihre Präsenz vermehrt in preisverdächtigen Prestigeserien wahrnehmen, ob nun als Emmy-nominierte Hauptdarstellerin im Survival-Drama „Yellowjackets“ oder einer kleinen, aber essentiellen Rolle in der Videospieladaption „The Last of Us“. Der erzählerische Vorteil, den Serien gegenüber Filmen hätten, ist für die Charakterschauspielerin die „Unberechenbarkeit des Mediums“. „Bei weitergehenden Serien kann der Verlauf der Geschichte jederzeit manipuliert werden. Für Schauspielende ist es aufregend, nicht von Anfang an zu wissen, wohin genau die Reise gehen wird.“

Jonah Hauer-King und Anna Prochniak als Lale und Gita Sokolov
Jonah Hauer-King und Anna Prochniak als Lale und Gita Sokolov © IMAGO

Dass sie 30 Jahre nach ihrem Debüt noch im Filmgeschäft aktiv sein würde, war für sie damals undenkbar: „Mir wurde eingetrichtert, die Zeit in diesem Business sei von begrenzter Dauer. Wenn du 35 bist, kannst du das nicht mehr tun, hieß es.“ Über die Jahre ist die Nachfrage nach Schauspielerinnen mittleren Alters allerdings rasant gestiegen. „Menschen interessieren sich für unsere Geschichten, Menschen wollen unsere Lebensrealitäten abgebildet sehen und ich bin froh, dadurch weiter spielen zu können“, gibt die heute 46-Jährige dankend zu erkennen.