Darf man das Werk eines Schriftstellers mit dieser Lebens- und Leidensgeschichte kritisieren? Eines Mannes, über den seit mehr als drei Jahrzehnten wegen eines Buches („Die satanischen Verse“) eine vom iranischen Mullah-Regime verhängte Fatwa, also ein Todesurteil, schwebt. Eines Mannes, der – als die Gefahr schon „verjährt“ geglaubt – am 12. August 2022 bei einer Veranstaltung von einem jungen Islamisten auf offener Bühne niedergestochen und lebensgefährlich verletzt wurde. Darf man also diesen Schriftsteller kritisieren? Ja, natürlich darf man! Und auch Salman Rushdie selbst legt großen Wert darauf. Er möchte kein Mitleid für sein Schicksal, sondern eine Bewertung seiner Kunst.

Nun. „Knife“, also Messer“, heißt das Buch, mit dem der indisch-britische Autor auf seine Weise auf diesen mörderischen Angriff reagiert. „Für mich war es notwendig, dieses Buch zu schreiben. Es ist meine Art, das, was geschehen ist, in den Griff zu bekommen und auf Gewalt mit Kunst zu antworten“, sagt der 76-Jährige zu seinen Beweggründen. „Gedanken nach einem Mordversuch“ lautet der Untertitel des Werkes. Das Englische trifft es besser: „Meditations After An Attempted Murder“. Denn es ist in erster Linie ein meditativer Gedankenstrom, mit dem Rushdie dieses dramatische und wohl auch traumatische Erlebnis zu verarbeiten versucht. „Knife“ ist eine Mischung aus schmerzhafter Erinnerung, Protokoll des Schreckens und medizinischem Attest. Detailliert beschreibt Rushdie die furchtbaren Verletzungen, den Kampf der Ärzte um sein Leben und den langen Weg zurück ins Leben. Als Therapie will Rushdie dieses Buch nicht verstanden wissen – aber als solche funktioniert es noch am ehesten. Denn eines ist „Knife“ nicht: Literatur.

Verbundenheit mit Familie

Der erste Blick in den Spiegel, die Verzweiflung ob des Verlustes eines Auges, weitere medizinische Hiobsbotschaften im Laufe des Genesungsprozesses, aber auch die Verbundenheit mit seiner Familie; das sind die stärksten Momente des Buches. Irritierend hingegen der Umgang mit seinem „Beinahe-Mörder“. Als dummen, wütenden jungen Mann bezeichnet Rushdie den 24 Jahre alten Täter, der offensichtlich von einem Imam radikalisiert wurde und kaum etwas über sein späteres Opfer weiß. Es ist, als ob Rushdie verblüfft und sogar wütend ist ob des geringen intellektuellen Formats seines Attentäters. „A“ nennt er ihn im Buch, nie beim Namen. Und gegen Ende führt er einen fiktiven Dialog mit „A“, um dessen Beweggründe zu verstehen. Es ist ein „Gespräch“, das zu nichts führt.

Neben den körperlichen Wunden schmerzt Salman Rushdie am meisten, dass er mit diesem Attentat auf ihn wieder ins „Satanische Verse“-Narrativ gedrängt wird. Er möchte nach seinen Büchern beurteilt werden. Das wird er; dann, wenn er wieder Literatur schreibt.

Salman Rushdie. Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Penguin, 256 Seiten, 26,50 Euro.

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