„Da kommen wir her. Aus der Kleinstadt, aus dem Reihenhaus. Das sind wir. Mit Unterhemd, Sonnenbrand und Kippe auf dem Zahn. Mit glasigem Blick an Weihnachten und heiligem Ernst zur Konfirmation. Mit Mama, Papa, zwei Töchtern und zwei Söhnen.“ So beginnt der Roman „Die Arbeiter“ des deutschen Schriftstellers Martin Becker – und einer dieser Söhne ist er selbst. Und die Familie, die er beschreibt, ist seine eigene, doch Becker destilliert aus der Biografie kraftvolle Literatur, die dem „echten Leben“ eine weitere Dimension hinzufügt. Was Becker beschreibt, gibt es in dieser Form nicht mehr bzw. immer weniger: die Arbeiterklasse. Im Sauerland aufgewachsen, der Vater arbeitete im Bergbau, die Mutter war Schneiderin, im Sommer ging es an die Ostsee auf Urlaub - wenn das Geld reichte. Die Geschwister ein Kaleidoskop an Stimmungen, Schwingungen, Befindlichkeiten und Versehrungen: Eine Tochter behindert, die andere früh von zu Hause weg, weil sie die Enge nicht mehr ertrug. Ein Sohn der brave Pragmatiker, der andere das verhätschelte Nesthäkchen. Das war Martin Becker selbst.

Beckers Schreiben kommt einem Soundtrack der 80er- und 90er-Jahre gleich. Entlang der Zeitgeschichte fädelt er im liebevoll-kritischen Ton diese zart-bittere Familiengeschichte auf. „Harte Arbeit den ganzen Tag. Frühe Verluste. Plackerei. Sauferei. Die Wut der Väter, die Melancholie der Mütter.“ Doch es ist keine billige Abrechnung mit der eigenen Herkunft, die Martin Becker betreibt, vielmehr liegt in seinem Blick zurück (und auch noch vorne) viel Zärtlichkeit und Verständnis für die Härten des Lebens, mit denen seine Eltern zu kämpfen hatten. Dennoch war es eine stolze Arbeiterfamilie, sich immer ihrer Herkunft und Klasse bewusst; sich aber auch darüber im klaren, dass die Armut automatisch eine Außenseitertum bedeutete.

Martin Becker selbst hat den Weg in eine andere „Klasse“ gefunden und auch Worte dafür, diesen Weg zu beschreiben. Am Ziel angekommen, drehte er sich um und errichtete seiner verschwundenen Arbeiterfamilie ein würdiges literarisches Denkmal. Ohne Romantik, ohne Verklärung, stattdessen mit viel Humor und der Erkenntnis: „Schleppen trotzdem mit uns rum, was wir sind.“

Martin Becker. Die Arbeiter. Luchterhand. 301 Seiten, 22,70 Euro.

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