Edith Klinger im TV, ein Romy Schneider-Bild am Kleiderkasten, ein schier unentrinnbares „Ave Maria“ aus dem Radio: Wie der Blick in eine Zeitkapsel ist der Blick auf die bedauernswerte Frau Q., die da in ihrer staubiggrünen Kabinettwohnung unter einer Menagerie ausgestopfter Vögel sitzt und aufpasst, wie die Zeit vergeht. Bis sie schreiend das Fenster aufreißt, unter dem man spielende Kinder lachen hört: „ge scheissn / du oasch / du beidi schleich di / sunsd brunz i a seidi / in dei goschn / und scheiss da de doschn / voe“.
Die unsterblichen Zeilen stammen von Gerhard Rühm, dem die Volkstheater-Produktion „Heit bin e ned munta wuan“ gemeinsam mit H.C. Artmann, Konrad Bayer, Oswald Wiener und Friedrich Achleitner eine Liebeserklärung bereiten will.

Eine Feier für den Tod

Der Innsbrucker Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseur Wolfgang Menardi hat aus Texten der legendären „Wiener Gruppe“ einen Abend filtriert, der die literarische Avantgarde von Nachkriegs-Österreich feiert – und mit ihr den Tod. Ein schwadronierender Pompfüneberer (Claudia Sabitzer) setzt dafür den passenden Rahmen, ein Wienerlied-Trio unterlegt ihn mit Molltönen. Zugleich ist die Produktion ein Starvehikel für den Schauspieler Samouil Stoyanov, dessen phänomenaler Auftritt in Claudia Bauers Jandl-Hommage „humanistää!“ ihm vor zwei Jahren einen „Nestroy“ als bester Schauspieler, den Alfred-Kerr-Darstellerpreis beim Berliner Theatertreffen sowie die „Theater heute“-Auszeichnung als Schauspieler des Jahres eingebracht hat. Kein Zweifel also: Der Mann kann deklamieren, selten war bockbeinige Avantgarde derart ausdrucksvoll zu hören wie von ihm.

Schade, dass „Heit bin e ned munta wuan“ aus dieser Fähigkeit so wenig macht. Nach dem Prinzip jener Jukebox-Musicals, die populäre Songs in eine neu erdachte Erzählung verbauen, hat Menardi, der auch das visuell hinreißende Bühnenbild besorgte, Texte etwa aus Artmanns „med ana schwoazzn dintn“ oder „hosn rosn baa“ (Rühm, Achleitner, Artmann) zum tragikomischen Tableau eines verdorrtenFrauenlebens verbaut. Das erweist sich allerdings als problematisch, immerhin war die Literatur der Wiener Gruppe auch ein zorniges Anschreiben gegen den  kleinbürgerlichen Muff der Nachkriegszeit, der Dialekt und das Sprachexperiment Instrumente des Aufbegehrens und provokanter
Ausdruck des Misstrauens gegen die sprachliche Konvention.

Gewicht und tragikomische Würde

In diesem Sinne fungierte etwa Konrad Bayers berühmtes Diktum „scheissen und brunzen sind / kunsten“ als „Quod erat demonstrandum“ einer quasi koprolalischen Ballade. Auf der Bühne ausführlich zitiert, mutiert sogar dieser Text zur gefälligen Gefühlsfolklore. Derlei ist natürlich nicht verboten, und Stoyanov als Frau Q. gibt der Figur durchwegs Gewicht und tragikomische Würde. Dass Menardi aber viele Texte nur anspielen lässt, sich für seine Erzählung mit Strophen, Takten, Fetzen begnügt, limitiert ihre Wirkung weit über Gebühr. Zwar zeigt sich, zumal gegen Ende, wenn die wie untot vor sich hin kümmernde Frau Q. – mit einem Messer bewaffnet und im schauerlichen Duett mit einem Nachbarn (Matteo Haitzmann) – sich in die Liebesgeschichte der Marischka- „Sissi“ hineinfantasiert, wie sicher Stoyanov sogar noch mit den Textstummeln und -schnetzeln jongliert. Aber man fragt sich, was der sprachfuriose Schauspieler aus Texten gemacht hätte, denen die Versehrungen dieser Inszenierung erspart geblieben wären. Dass ausgerechnet der als „Liebeserklärung“ an die Wiener Gruppe deklarierte Abend dem Text weniger zu vertrauen scheint als den – zugegeben starken – Bildern bremste den Jubel nicht; langer Applaus nach gut 70 Minuten und kurzer Unterbrechung wegen eines medizinischen Notfalls im Publikum.