Steht Claus Peymann nach der Premiere an der Akademietheatergarderobe. „Na, war doch gar nicht schlecht?“, fragt ihn eine Frau. „Nein“, sagt er und grinst. 1968 hat er Peter Handkes „Kaspar“ in Frankfurt uraufgeführt, der Legende nach haben damals Besucher wütend das Theater verlassen: Derart beißende Sprachkritik, die auch als Gesellschaftskritik verstanden werden wollte, mochte man nicht hören. Seither sind 55 Jahre vergangen, die Kritik an der „Sprechfolterung“, die Handke zeigen wollte, an den repressiven Regeln und Gesetzen, die dem Individuum bei der Weltgewinnung durch die Sprache auferlegt werden, ist heute kein Skandalon mehr, sondern akzeptiertes Breitenwissen: Der Mensch wird von der Gesellschaft abgerichtet.

„Ich möchte ein solcher werden...“

Die Brutalität dieses Vorgangs zeigt Regisseur Daniel Kramer, der das Stück nun am Wiener Akademietheater inszeniert hat, aber auch heute ganz unverhohlen: Der Kaspar, der da aus einem finsteren Schlauch vom Schnürboden auf den Boden herunterklatscht, ist ein borstiger, unförmiger Zellhaufen, kaum menschlich. Nur einen einzigen Satz presst er aus sich heraus: „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ Die vier „Einsager“, die das Wesen mit der Kettensäge aus seinem Fell herausschneiden, um es mit Merk- und Lehrsatzsalven gefügig zu machen, sehen in ihren Rüsselmasken und schwarzen Latex-Talaren aus wie einer SM-Party abhandengekommen (Kostüme: Shalva Nikvashvili), ihre Grausamkeit ist so beschwingt wie die der Commedia dell’Arte: „Jedes Leiden ist natürlich“, trichtern sie dem Kaspar vor einer großen Kreidetafel ein (Bühne Annette Murschetz). „Alles, was dir scheinbar schadet, ist nur in deinem Interesse.“

Horrorclowns als Zu- und Abrichter
Horrorclowns als Zu- und Abrichter © Burgtheater/Susanne Hassler-Smith

Die Deformation vollzieht sich wie erwartet: Was Kaspar lernt, verkrüppelt ihn. Das Kramer zugleich auch Handkes Einsager als von den Normen Verkrümmte zeigt, mündet nach eineinhalbstündigem Stakkato und greller Künstlichkeit in eine bedrückende Szene: eine Kleinwohnung, in der plötzlich fünf Kaspars in zeitgenössischer Freizeitkleidung, füreinander unsichtbar, in völliger Stille scheinbar alltäglichen Verrichtungen nachgehen: essen, fernsehen, duschen, putzen, Zeit totschlagen; es ist ein Ballett zeitgenössischer Isolation, bis einer von ihnen eine Maschinenpistole auspackt und die Szene verlässt.

„Ziegen und Affen“

Knallbunte Horrorclowns vollenden schließlich die Zurichtung des Zöglings Kaspar, der sich noch in eine Menschenblut saufende Diva verwandeln und am Ende unter einer dicken Atombombe sitzen wird, um seine Menschwerdung mit dem Schlusssatz „Ziegen und Affen. Ziegen und Affen.“ abzuschließen. Und so endet der Zivilisationsprozess.

Handke konnte sich auch vorstellen, dass man sein Stück als „Rock-Oper mit grellen Effekten“ inszeniert. Kramer hat ihm diese Fantasie erfüllt, und er hat als „Kaspar“ einen fantastischen Schauspieler: Marcel Heupermann, der mit enormer Sprachintelligenz und in hingebungsvoller Körperlichkeit die Domestikation seiner Figur bewegend ausgestaltet. Langer Applaus für den Protagonisten und seine vier Mitspieler Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann.