Mit einer Rede von Intendantin Ekaterina Degot und  einer Parade vom Hauptbahnhof über die Keplerstraße auf den Mariahilferplatz hat der steirische herbst 2018 begonnen.

Das Bread & Puppet Theater aus den USA und einige hundert Besucher zogen durch die Stadt. Die Gruppe aus Vermont ist seit den Sechzigern für seine politischen Arbeiten bekannt. Am Anfang protestierte man gegen den Vietnamkrieg.

Hier die Bilder von ihrer Aktion, die den herbst eröffnete:

Ute Baumhackl und Martin Gasser von der Kleinen Zeitung trafen die Intendantin vorab zum Interview. Hier über ihre Intentionen und die Vorbereitung aufs Festival:

Sie hatten nur eineinhalb Jahre Zeit für Ihr herbst-Programm. Wie viel von dem, was Sie vorhatten, ist gelungen?

EKATERINA DEGOT: Fast 100 Prozent. Dabei waren es sogar weniger als eineinhalb Jahre, ich bin ja offiziell erst seit Jänner im Amt. Es ist mehr gelungen, als ich für möglich hielt.

In welcher Hinsicht?

EKATERINA DEGOT: Im öffentlichen Raum etwa. Mir wurde gesagt, das sei hier generell schwer, speziell in dieser kurzen Zeit, aber wir haben viel und oft recht unerwartete Unterstützung bekommen, auch vonseiten der Politik.

Welche Projekte und Politiker betrifft das?

EKATERINA DEGOT: Ich kann keine Namen nennen, aber bei der Skulptur „Aurora“ von ZIP group auf dem Arbeiterkammergebäude, da hörten wir öfter: „Ich bin kein Kommunist, aber Antifaschist, und deshalb unterstütze ich es.“

Man hat den Eindruck, dass viele Künstler im herbst 2018 linke Positionen untersuchen.

EKATERINA DEGOT: Als Bürger sind Künstler meistens auf der liberalen Seite oder links orientiert. Aber Künstler interessieren sich für alles, was in der politischen Landschaft passiert, sie untersuchen auch die rechten Positionen und machen kritische und unerwartete Vergleiche. Wir interessieren uns für die Dialektik.

Vorab wurde Ihr Programm als politisch beurteilt, ein Etikett, mit dem Sie gut leben können?

EKATERINA DEGOT: Ich denke, dafür bin ich bekannt. Ich würde sagen, das ist das Einzige, was mich interessiert. Nicht im Sinne eines Aktivismus, sondern ich verstehe die Künstlerrolle, wie Lenin gesagt hat, als Spiegel der Realität. Wir alle sind auf politischem Gebiet, auch wenn wir denken, wir seien es nicht. Diese politische Zone zu betrachten, ihre Komplexität zu zeigen, wird nicht nur 2018, sondern auch bei allen weiteren Ausgaben des Festivals zentral bleiben.

Auch in Österreich erstarkt der Rechtspopulismus. Die FPÖ bringt sich, wie zuletzt das Beispiel Forum Stadtpark zeigte, zunehmend in die Kunstdiskussion ein. Sie machen viele Projekte im öffentlichen Raum, rechnen Sie mit Reaktionen von rechts?

EKATERINA DEGOT: Die gibt es schon. Auf Yoshinori Niwas Einladung, Nazi-Relikte aus Privatbesitz abzugeben und entsorgen zu lassen, gab es auf Facebook viele Hasspostings. Man drohte uns.

Womit?

EKATERINA DEGOT:(lacht) Mein Lieblingssatz ist: Der Blitz soll mich auf dem Klo töten!

„Der Blitz soll dich beim Scheißen treffen?“

EKATERINA DEGOT: Ja, genau. Ist das eine bekannte Redensart? Ich hielt das für frisch ausgedacht.

Beschäftigt Sie so etwas?

EKATERINA DEGOT: Nein. Es überrascht mich, weil ich das Projekt sehr unprovokativ und freundlich finde. Es ist eher eine Art Therapie. Ich bin überrascht, dass allein die Arbeit mit Nazi-Memorabilia so viele negative Gefühle provoziert.

Und der Wille zur Provokation?

EKATERINA DEGOT: Es ist nur sinnvoll, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen. Ich hoffe, das machen wir. Deswegen ist mein Rat an Besucher, nicht nur die einzelnen Werke anzuschauen, sondern Künstler zu treffen, sich an den Diskussionen zu beteiligen und die Projekte im Zusammenhang zu sehen.

Der Erforschung der „kleinen Faschismen“ widmen Sie ein Symposion. Wie machen sich Faschismen unter dem Mantel eines liberalen Systems bemerkbar?

EKATERINA DEGOT: Das passiert überall, sehr oft auf demokratische Weise. Man muss demokratische Entscheide unter dem Blickwinkel der medialen Situation sehen. Ist diese unter Kontrolle der Macht? Bekommt man nötige Informationen? Hat man eine Möglichkeit, politisch zu agieren? In vielen Ländern werden Ressentiments kultiviert. Ungarn, Russen, Polen – schwierige Situationen werden von Populisten ausgenutzt.

Sind künstlerische Positionen in Osteuropa politischer, weil sie unter schwierigeren Bedingungen entstehen? Ist die Lage für Künstler in wirtschaftsliberalen Demokratien ebenso schwierig?

EKATERINA DEGOT: Osteuropäische Künstler würden sagen, dass es schwieriger im Westen ist. Weil das Leben dort weniger politisch, normaler ist. Im Westen ist eine radikale Geste fast unmöglich. Das haben auch Gruppen wie Femen erfahren.

Da stellt sich die alte Frage, ob Kunst die Macht hat, Denken und Gesellschaft zu beeinflussen?

EKATERINA DEGOT: Bestimmt. Kunst war eine Inspiration für rechte Politik und für Praktiken im Kapitalismus. Fake News wurden längst als künstlerische Geste untersucht. Aber Kunst kann Dinge natürlich auch positiv beeinflussen. Es benötigt Zeit, um das Denken zu beeinflussen. Ich glaube, zeitgenössische Künstler sind in diesem Sinne immer noch Avantgarde, im Denken voraus.

Wenn man sich die Welt und politische Entwicklungen ansieht, gewinnt man aber den Eindruck, dass die Zeit davonläuft.

EKATERINA DEGOT: Die Kunst wird nicht aufhören. Auch in dunklen Zeiten.

Kritik wurde laut, dass das Programm reduziert worden ist.

EKATERINA DEGOT: Wir verzichten auf die üblichen Koproduktionen, fast alle Projekte entstehen im Auftrag für den herbst. Das ist entsprechend aufwendig.

In der lokalen Szene gab es Befürchtungen, dass Sie Einrichtungen vereinnahmen würden.

EKATERINA DEGOT: Im Gegenteil: Ich habe großen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen. Etwas zu beeinflussen oder mich da einzumischen, daran habe ich kein Interesse. Deshalb haben wir eine klare Trennung: Es gibt ein von uns kuratiertes Programm sowie ein Begleitprogramm von Institutionen wie Kunsthaus, Schauspielhaus, Camera Austria, die eigene tolle Projekte anbieten, die ich so nie hätte kuratieren können. Diesen bieten wir eine Plattform. Mit anderen haben wir aber gemeinsame Projekte entwickelt, das wird auch immer einmal wieder der Fall sein.