Man traut sich Kulturveranstalter ja derzeit gar nicht zu fragen, aber: Wie geht’s?
MATHIS HUBER: Herrlich!

Wie das?
Ich sitze hier im Palais Attems und trinke gemütlich Kaffee. Allein in Zimmer zwar, aber so sind die Sicherheitsregeln. Zwei Mitarbeiter pro Etage sind bei uns zugelassen. Die meisten Konferenzen machen wir elektronisch. Und wenn wir uns real zu Besprechungen treffen, muss es vorher Tests geben.

Wie auch für die Produktionen, die Sie seit Herbst für das Streamen aufzeichnen.
Ja, ob hier im Palais oder an den Orten, wo wir Filme produzieren. PCR-Tests werden laufend gemacht. Beim Orchester recreation kommen da schon 200, 300 Testungen pro Auftritt zusammen. Bei Aufzeichnungen mit Chor – wie am 15. März bei einer Highlight-Fassung von Haydns „Schöpfung“ im Stefaniensaal - können es bis zu 1500 sein.

Wie sehr wackelt Ihr Psalm-Festival zu Ostern?
Es glaubt niemand mehr daran, aber offiziell abgesagt haben wir es auch noch nicht. Da müssen wir die Entscheidungen der Regierung abwarten. Aber wir haben gelernt, mehrgleisig zu denken und zu arbeiten. Selbst wenn es tatsächlich eine Absage geben muss, werden wir das gesamte Festivalprogramm spielen: Die Projekte vom Palmsonntag – ein mittelalterliches Spiel - und vom Karfreitag – „Stabat mater/Madre tierra“ – werden live gestreamt, der Rest wird für spätere Ausstrahlungen aufgezeichnet.

Am 6. April stellen Sie die styriarte 2021 vor, die sich die „Lust“ zum Motto erkoren hat. Wie lustvoll ist es denn, die Grätsche zwischen Geplantem und Unabwägbarem schaffen zu müssen?
Pläne über mehrere Wochen hinweg zu schmieden ist zur Zeit ja völlig unsinnig, es braucht also Spontanentscheidungen, Prophetengabe, Ahnungen, wie sich die Kurven entwickeln... Wir gehen jetzt einmal davon aus, dass wir so spielen können wie im Vorjahr. Wir werden die Gestaltung unseres Festivals auch diesmal so weit wie möglich coronatauglich machen. In den mittlerweile zwölf Monaten der Krise haben wir alle Punkte geschafft, die wir uns vorgenommen haben. Wir haben richtig kalkuliert.

Auch finanziell?
Ökonomisch ist es natürlich schwierig, aber auch keine Katastrophe. Bei der styriarte werden wir heuer nur noch Doppel- und nicht mehr Tripelabende anbieten. Im Vorjahr gab es ja diese strenge Zahl 250, und selbst bei voll verkauften drei Einheiten kamen wir nur auf bestenfalls drei Viertel der sonstigen Einnahmen im Stefaniensaal oder in der List-Halle. Heuer werden hoffentlich vernünftigere Besucherzahlen zur Debatte stehen. Die Republik wird sich ja auf Dauer nicht leisten können, dass der Kulturbetrieb nur noch bei Extrasubventionierungen läuft. Wir jedenfalls stecken das Geld, das wir bekommen, gleich wieder in die Produktion von Kultur, die wir derzeit halt nur über Konzertfilme anbieten können. Aber je länger wir solche neuen Wege gehen, desto mehr Erfahrung gewinnen wir. Wir setzen jedenfalls alles ein, was wir 2020 gelernt haben.

Jetzt sagen Sie aber nicht wirklich „Krise als Chance“, oder?
Natürlich gibt es Erkenntnisgewinne aus dieser Krise, die wir uns alle gern erspart hätten. Ich wiederhole mich nicht wie auf Drogen, aber: Wir als Veranstalter haben noch mehr gelernt, dass die bürgerliche Musikkultur eigentlich nichts mehr mit dem 21. Jahrhundert zu tun hat. Die Zeit der heiligen Kunsttempel, in deren enge Reihen man sardinenartig so viele Zuseher wie möglich zwei oder mehr Stunden lang steckte, sind vorbei. Die coronabedingt lockerere Bestuhlung brachte viel mehr Bequemlichkeit und auch eine gewisse Intimität zwischen Künstlern und Zusehern. Flexiblere Beginnzeiten etwa lassen es zu, dass jemand gleich nach der Arbeit um 18 Uhr ein Musikereignis genießt, vielleicht ohne die Rituale, sich schön anziehen zu müssen, und der auch noch was von seinem Abend hat, wenn das Konzert nur ein oder eineinhalb Stunden ohne Pause dauert. All das kommt den Zuschauern entgegen und macht ihnen sichtbar Freude - und uns auch.

Schon im Vorjahr lautete Ihre Parole: „Wir sind zum Arbeiten da, nicht zum Jammern!“
Ach, diese unentwegten Tragödien, die sich ziehen, wie ein Strudelteig, die hält man ja schon nicht mehr aus! Niemand kann und will die Riesenproblematik der Pandemie wegreden, aber man muss auch positive Gegenentwürfe gegen die tragische Grundstimmung parat haben – gerade die Kultur. Rückschläge werden uns weiterhin begleiten. Das hält uns als Veranstalter aber nicht davon ab, zum Beispiel schöne Bilder und Stimmungen mit unseren Streamingkonzerten jetzt schon zu liefern und dabei Musikerinnen und Musiker und das Publikum glücklich zu machen. Beim Filmen entwickeln wir uns übrigens rasant. Derzeit liefern wir ja noch frei Haus oder gegen Spenden, aber natürlich müssen wir neben dem Produzieren auch das Monetarisieren irgendwann lernen. Wenn uns eine multiple Verwertung unseres Kulturangebotes gelingt, also real und digital, dann haben wir gewonnen.

Es brummt also weiterhin in der Sackstraße 16?
Unser Haus war nie zugesperrt, wir sind auch nicht zum Däumchendrehen da. Wir fabrizieren für die Zukunft, die ein viel differenzierteres Kulturleben bewirken wird. Wir haben volle Wäsche zu tun.

Videotipp

Im Jänner nahm Roland Renner mit seinem Filmteam von reziprok ein weiteres Konzert aus dem Abo-Zyklus des Grazer Orchesters recreation auf: Mei-Ann Chen dirigierte in der List-Halle Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“. Im Bühnenhintergrund hingen zehn leere Bilderrahmen, die laut Veranstalter styriarte „Platz bieten sollen für die jeweilige fantasievolle Befüllung durch das Publikum“.