Die Pandemie war für das Grazer Werkraumtheater eine Zäsur: Das Studio aufgelassen, der Name ausgetauscht und die digitalen Medien als neue Chance erkannt. Was ist passiert, das diesen Umbruch im 25. Jahr des Bestehens nötig machte?
Rezka Kanzian: Der erste Lockdown hat uns ja alle sehr überrascht. Durch diese ganzen neuen Verordnungen und Regeln haben wir erkannt, dass es nicht möglich ist, unser Studio in der Grazer Glacisstraße in dieser Form weiterzuführen. Abgesehen von der coronauntauglichen Enge der Räumlichkeiten muss man sagen, dass wir das Studio jahrelang mit Eigenmitteln finanzierten, weil die Subventionen nicht ausreichten. Im Nachhinein würde ich sagen: Es war eine kluge Entscheidung.
Franz Blauensteiner: Das war aber sehr strittig unter uns. Es ist schon eine Art von Selbstaufgabe, wie eine Amputation. Es war ja eine Verortung, um die wir sehr gekämpft haben, und eine der günstigsten Formen, um zu arbeiten: Hier konnten wir über Monate ein Stück spielen. All das ist jetzt nicht mehr ohne Weiteres möglich. Aber doch jedes Ende, so scheint es, ...
Kanzian: ... ist ein Anfang. Man versucht sich durch die Krise neu zu erfinden.

„Die Übüs“, wie Ihre Formation nun heißt, setzt weiter auf die grotesken Figuren von Alfred Jarry und legt den Fokus auf Online-Videos. Wie kam es dazu?
Blauensteiner: Unser neues Format hat mit einem Gedichtband von der Mutter Übü (Anmerkung: Rezka Kanzian) begonnen. Sie war ja zwei Jahre krank, und das hat Ausdruck gefunden in ihren Gedichten. Dann kam der Lockdown, und wir haben gesagt: Jetzt verfilmen wir diese Gedichte. In der Wohnung, in der Waschküche, auf Spaziergängen.
Kanzian: Es war der Beginn unserer digitalen Transformation.
Diese Art der dramaturgischen und technischen Offenheit gegenüber Neuen Medien ist keine Selbstverständlichkeit in der Szene. Viele tun sich schwer oder versuchen erst gar nicht, ein adäquates Streamingformat zu finden.
Kanzian: Es ist ein anderes Format, ein anderer Zugang. Es sind zwei Welten, aber jede steht für sich. Es kam ja damals ein Lockdown nach dem anderen. Und irgendwie war das auch eine Art Erlösung, dann doch in diesem Format eine Möglichkeit zu finden, unsere Figuren weiterzuführen.

Was verändert sich in der Theaterszene durch die Pandemie?
Kanzian: Den Produktionsdruck hat man ja trotz Lockdown. Das hat man in den vergangenen Jah qren gespürt: Hauptsache, man hat viele Premieren und Spieltermine. Das Virus hat total reingehauen in diese Systematik. Dass weniger auch mehr sein kann, wurde erst in den letzten Monaten thematisiert, Veronica Kaup-Hasler hat das in Wien einmal angesprochen. Diese Selbstausbeutungsmaschinerie ist ja riesig im freien Bereich.

Bisher sind fünf Folgen Ihrer Verfilmung von Jarrys „Übüs in Ketten“ erschienen. Wie viele Menschen erreichen Sie mit den Videos?
Eugen Fasching: Wir sind im Bereich von 5000 bis 10.000 Menschen. Diese hohe Zahl ist natürlich ein positiver Effekt, aber nicht allein maßgebend für unsere kreative Arbeit. Er erleichtert jedenfalls unser Standing gegenüber der Kulturpolitik: Das wird angeklickt.

Die Zugriffszahlen sind also erfreulich?
Blauensteiner: Ja natürlich. Wenn man bedenkt, dass wir bei sieben ausverkauften Vorstellungen im Studio maximal 280 Personen erreichten.
Kanzian: Hier kommst du auch an Leute, die noch nie etwas über die Übüs gehört haben.
Fasching: Die Jugend, die man erreicht, tut sich zwar anfangs mit der Sprache schwer, man hat aber schon eine gewisse Vorbildwirkung.

Sehen Sie in der Zukunft auch wieder die Rückkehr auf eine eigene Bühne?
Blauensteiner: Es gibt kein Zurück. Jeder von uns hat wirklich einen großen Widerstand, so wie vorher weiterzumachen. Ich selbst sehe das als ausgelebt. Wir suchen jetzt nach einem neuen Inszenierungsstil, mit dem man das Live-Moment mit digitalen Ausdrucksformen, nicht Darstellungsformen, verbinden kann.
Kanzian: Ich glaube, dass wir gesellschaftlich nicht mehr zurückkönnen. Das betrifft auch die Kulturbranche. Keiner weiß, wie wir weiterarbeiten werden, trotz Impfung. Wir sind an einer Wegkreuzung und wissen noch nicht wohin.