Corona bringt Kulturstätten unter Druck. In der Londoner Royal Academy wurde unlängst ernsthaft diskutiert, einen Michelangelo zu verkaufen, um 150 Arbeitsplätze abzusichern. Ist das die Zukunft der Museen?
WOLFGANG MUCHITSCH: Objekte zu verkaufen und damit Sanierungen, Bauten, Schulden, Gehälter abzudecken: Das war bisher ein Tabu. Wir bauen Museumssammlungen auf, um sie späteren Generationen weiterzugeben. Auch Schenker und Stifter gehen davon aus, dass ihre Objekte aufbewahrt und nicht verkauft werden. Aber natürlich hat Corona dazu geführt, dass man, auch in den USA, die Richtlinien breiter auszulegen beginnt – im Brooklyn Museum of Art etwa haben die Direktoren bestimmt, dass Verkaufserlöse bis auf Weiteres auch zur Erhaltung der Sammlung verwendet werden können.

Könnte ein Museum auch bei uns derart unter Druck geraten?
Das glaube ich nicht. Es gab nach dem Ersten Weltkrieg Überlegungen, Teile des Zeughauses an amerikanische Sammler zu verkaufen. Derlei taucht in Notzeiten auf. Aber Verpflichtung des Museums ist es, Vermögen des Landes und Zeugnis seiner Geschichte zu sein.

Michelangelos "Taddei Tondo"-Relief aus Londons Royal Academy:; Wird es verkauft, um Jobs zu finanzieren?
Michelangelos "Taddei Tondo"-Relief aus Londons Royal Academy:; Wird es verkauft, um Jobs zu finanzieren? © Royal Academy

Wie sollte die Aufforderung „Verkauft was, um euch zu finanzieren!“ bei uns ganz undenkbar sein?
Für die Deakzession, wie es im Museumsbetrieb heißt, hat sich die Museums-Community gemeinsame Regeln gegeben. Das wird nicht über Gesetze, sondern über eine Selbstbindung verhandelt. Der internationale Museumsverband ICOM erstellt die Richtlinien der Museumsarbeit. Das ist unsere berufsethische Grundlage. In unseren Satzungen steht, dass wir das Museum nach diesen Richtlinien zu führen haben. Darin ist auch festgelegt, dass es manchmal Sinn macht, Objekte aus Sammlungen zu nehmen. Da aber Sammlungen treuhänderisch verwahrt und nicht als Aktivvermögen betrachtet werden sollen, muss jeder Verkaufserlös wieder für die Sammlung genutzt werden. Man riskiert ja sonst auch den Vertrauensverlust der Öffentlichkeit. Aber es gibt schon große Kunstmuseen, die etwas verkaufen, um anderes zu erwerben. Das Leopold Museum hat vor einiger Zeit etliche Schiele-Zeichnungen verkauft, um die „Wally“ zu finanzieren.

Der Erwerb von Schieles berühmter "Wally" war dem Leopold Museum etliche Zeichnungen des Künstlers wert
Der Erwerb von Schieles berühmter "Wally" war dem Leopold Museum etliche Zeichnungen des Künstlers wert © KLZ/EH

Und wie agiert da das UMJ?
Bei uns wird eher getauscht, etwa Doubletten aus Münz- und Grafiksammlungen. Aber ein berühmtes Beispiel zeigt, dass auch tauschen nicht immer sinnvoll ist. 1954 hat man, mit Zustimmung das Landes, Arcimboldos „Erde“ aus dem Zyklus „Die vier Elemente“ gegen ein gotisches Tafelgemälde des Meisters von Laufen getauscht.

Weil der Arcimboldo nicht als wertvoll und behaltenswert galt?
Weil man damals das Regionale für wichtiger hielt. das Bild ist heute in Privatbesitz und hängt als Leihgabe im Liechtenstein Museum.

Das ist ja zum Haareraufen.
In diesem Fall bestimmt. Ich erzähle das, weil alles, was wir heute tun, erst von späteren SammlungskuratorInnen bewertet wird. Wir sind deswegen in Sachen Entsammlung sehr zurückhaltend. Abgesehen davon stehen unsere Sammlungen unter Denkmalschutz. Verkäufe bräuchten die Zustimmung des Bundesdenkmalamtes.

Arcimboldos "Erde", einst im Besitz des Joanneum, wurde 1954 weggetauscht und hängt heute im Liechtenstein Museum
Arcimboldos "Erde", einst im Besitz des Joanneum, wurde 1954 weggetauscht und hängt heute im Liechtenstein Museum © Liechtenstein Museum

Deswegen behält man dann z. B. auch zentnerweise gesammelte Zinnbecher, auch wenn ihre kulturhistorische Bedeutung längst eher  fragwürdig ist?
Das liegt immer in der Entscheidung der verantwortlichen SammlungskuratorInnen. Da ist die beste Form der Deakzession die geordnete Akzession: Wer gut überlegt, was er in seine Sammlung aufnimmt, muss sich später nicht fragen, wie er mit seinen Objekten umgeht. Sammlungen sollen einen guten Überblick geben. Viele Objekte sind nur Belege für gewisse kulturhistorische Entwicklungen oder in der Naturkunde für gewisse Arten. Das muss man nicht alles ausstellen. Aber man möchte die gesamte Entwicklung eines Künstlers oder die naturwissenschaftlichen Bestände einer Region darstellen. Aber hinter den Kulissen kann es da in den Depots natürlich eng werden, auch weil die klimatechnischen und restauratorischen Ansprüche steigen.

Die Auflösung einer Sammlung stand noch nie im Raum?
Nein. Wir sind ja eine Stiftung, das Land Steiermark hat sich dem Stifter Erzherzog Johann verpflichtet, die Sammlung zu behalten und zu vermehren. Und in der Gewissheit, dass das erhalten bleibt, sind seither auch viele andere Objekte aus Stiftungen und Schenkungen ins Haus gekommen. Es schenken ja viele, weil sie Angst haben, dass ihre Sammlungen auf den Markt kommen, wenn sie unter die Erben geraten.

Und das muss man dann immer alles nehmen?
Wir sagen auch häufig Nein, wenn etwas nicht in unser Sammlungsprofil passt oder wir bereits ähnliche Objekte besitzen. Dann vermitteln wir an andere Häuser mit entsprechender Expertise. Das kommt, etwa bei Künstlernachlässen, ein paar Mal im Jahr vor.

Müssen wir uns angesichts der Pandemie insgesamt Sorgen um den Museumsbetrieb machen?
Bei den großen Institutionen greifen die Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern. Die Zeiten sind schwierig, aber Existenzsorgen gibt es nicht. Wer sich sicher Sorgen macht, sind die Vermittler. Viele von ihnen sind weiblich und Teilzeit beschäftigt, leben also sehr prekär. Sie leisten oft die wichtigste Arbeit, aber viele stecken in bedenklichen Vertragssituationen. Bei uns sind sie als echte Dienstnehmer abgesichert, in den Landesmuseen sind 80 Prozent fix beschäftigt. Bei den Bundesmuseen nicht einmal 50 Prozent.

Apropos: Die Bundesmuseen verdienen kein Geld mehr, weil die Touristen ausbleiben. Die Besucherzahlen sind trist.
Das Joanneum hatte zwischen den Lockdowns 80 bis 100 Prozent der Vorjahresbesucher, weil die Leute eine Bindung ans Haus haben. In den touristischen Hotspots waren es teilweise nur 15 Prozent. Bisher galt: Je mehr Besucher, desto erfolgreicher ist ein Haus. Das sagt aber nichts über die Qualität der Ausstellungen aus, über ihren Bildungseffekt oder ihren sozialen Impact, der mir ein besonderes Anliegen ist. Das wird also künftig stärker diskutiert werden, gerade weil wir in Österreich ja mit ständig steigenden Besucherzahlen sehr verwöhnt waren. So werden wir das einige Jahre lang nicht mehr erleben. In der Museums-Community ist das daher gerade ein Thema: Was ist dann ein gut funktionierendes Museum, eine gut funktionierende Ausstellung?

Was hat das Joanneum als Nächstes vor?
Wir haben eine Ausstellung im Lockdown fertig gebaut, Julije Knifer in der Neuen Galerie, die nun endlich zugänglich ist. Und am Freitag stellen wir das Programm für 2021 vor, das zum Gutteil von der Steiermark-Schau geprägt sein wird, die wir im Volkskundemuseum, im Museum für Geschichte und im Kunsthaus zeigen.

Sie gehen davon aus, dass die Schau wie geplant ab April 2021 stattfinden kann?
Ja. Wir sind überall im Zeitplan, auch mit den baulichen Maßnahmen. Und es wird in Sachen Corona verschiedene Szenarien für den Betrieb geben.