Die Grazer Kunstuniversität bildet Menschen für Künstlerberufe aus, die jetzt grundsätzlich infrage stehen. Was macht das mit den Studierenden, was mit dem Uni-Betrieb?
GEORG SCHULZ: Ich habe den Eindruck, bei vielen Studierenden sind die Veränderungen – abseits der finanziellen Bedrohung, die sie durch den Ausfall von Gigs und Nebenjobs erlebt haben – noch gar nicht wirklich angekommen. Wir glauben, dass sich die gesamte Kunstszene nach der Corona-Pandemie anders darstellen wird als davor, und dass wir dahingehend gezielt ausbilden müssen. Gerade bereiten wir eine Diskussionsreihe vor, von der wir uns dazu Impulse erhoffen: Was müssen wir an der Ausbildung verändern, damit die Studierenden mit dem, was nach Corona kommt, umgehen können?

Womit rechnen Sie?
Kann sein, dass sich das traditionelle Konzert für großes Publikum verändert. Bisher war das gemeinsame Kunsterlebnis der Grund, warum man nicht zu Hause bleibt und sich eine Aufnahme anhört. Jetzt wird man auseinandergesetzt, es gibt keine Pause, in der man sich unterhalten kann. Das hat das Konzerterlebnis komplett verändert. Stattdessen gibt es einstündige Konzerte ohne Pause, After-Work-Konzerte. Wir sehen Streichquartette bei Clubbings, Opernhappenings in Bars. Solche Entwicklungen werden beschleunigt, und sie sprechen vielleicht ein anderes Publikum an. Für uns ist es wichtig, die Studierenden auf solche Veränderungen vorzubereiten.

Wie geht man das an?
Die Musikuniversitäten haben ihre Studierenden bisher hervorragend auf den traditionellen Musikbetrieb vorbereitet. Aber das hatte eine gewisse Enge. Das scheint sich zu verändern, und in diese Richtung geht eine unserer Initiativen: Wir haben gerade entschieden, eine unbefristete Professur für Musikvermittlung zu installieren.

Was wird da gelehrt?
Es geht darum, besseren Kontakt zwischen Musikerinnen und Musikern, Zuhörern und Zuhörerinnen zu schaffen, und darum, wie man Gruppen anspricht, die üblicherweise nicht in Klassik- oder Jazzkonzerte gehen. Unsere Studierenden müssen ganz radikal lernen, wie man sich direkt ans Publikum wendet, wie man ausdrückt, worum es in einem Stück geht, was man damit mitteilen möchte. Und sie müssen lernen, was es heißt, digitale Formate zu bedienen – wer etwa seine Arbeit auf Youtube stellt, gibt seine Rechte daran lebenslänglich ab. Man muss also Bewusstsein für die eigene Präsenz auf der Bühne, im Netz, auf Social Media schaffen. Eines meiner Ziele als Rektor ist es, dass unsere Musikstudierenden die Abschlussprüfung nicht mehr mit dem obligaten Programm bestreiten, sondern indem sie ein Konzert nicht nur spielen, sondern auch organisieren – den Ort, das Publikum, die Ankündigung. Das Ziel wäre ein Abschluss, mit dem man all das kann und nicht erst mühsam nachher lernt. Ich denke, dass Corona diese Entwicklung beschleunigt.

Können die Studierenden das so annehmen? Die Krise als Chance?
Für Künstler ist Erfahrung essentiell. Was hat man denn mitzuteilen, wenn man nichts erlebt hat? In diesem Sinn steckt in jeder Krise auch eine Chance. Manche unserer Studierenden bestärkt sie sicher in ihrem Entschluss, Künstler zu werden, ansonsten ist es auch ein Gewinn, rechtzeitig zu erkennen: Das ist nicht mein Beruf. Unsere Studien sind sehr anstrengend, das Berufsfeld ist kompetitiv, der Exzellenzanspruch beinhart.

Wird es Ihren Studis nachhängen, dass sie jetzt weniger Auftrittsmöglichkeiten haben?
Wir halten die Präsenzlehre aufrecht, wo es geht, machen Distanzlehre, wo es notwendig ist, und führen unseren Konzertbetrieb fort. Am 5. November etwa findet ein großes Orchesterkonzert statt. Notfalls ohne Publikum, falls dann die Ampel auf Orange steht. Aber wir hoffen, dass wir die ganze Saison spielen können, weil diese Erfahrung für unsere Studierenden wichtig ist.