Komponisten stellt man sich gern wie Stubenhocker in der stillen Kemenate vor. Für ihre Arbeit müsste sich mit Corona demnach ja kaum etwas geändert haben, oder?

RICHARD DÜNSER: Ja, komponieren war und ist ein einsamer Job, von daher hat sich nichts geändert. Aber das Kontrastprogramm in den schöpferischen Pausen – Kommunikation mit Menschen, in Konzerte gehen, Kulturereignisse wahrnehmen, etwas essen, etwas trinken gehen – ist weggefallen.

Wie haben Sie anfangs den Einschnitt durch Corona erlebt?

DÜNSER: Das war natürlich teilweise –durch die Reise- und Kontaktbeschränkungen – eine ungewohnte Situation. Ich habe komponiert, online unterrichtet, gekocht, gelesen, nachgedacht, bin in Kitzeck spazieren gegangen und habe mich des Lebens gefreut.

Wie haben Sie die Zeit bisher für Ihre Kompositionsarbeit genutzt?

DÜNSER: Es war, besonders während des ersten Lockdowns, eine Zeit größter Kreativität für mich, ich habe seither mehrere umfangreiche Werke abgeschlossen: „Ricordanze“ für Klavierquartett, davon eine Fassung für großes Orchester für die Beethoven Philharmonie Baden. „der zeiten spindel III“, ein Auftragswerk für den Musikverein Wien, das das Alban Berg Ensemble im April uraufführen wird. Dann habe ich ein Auftragswerk für den Dirigenten Mario Venzago geschrieben: eine neue Fassung und Vollendung des E-Dur Symphoniefragments von Franz Schubert, eine große Symphonie von 40 Minuten Spieldauer, die heuer durch das Basler Kammerorchester zur Uraufführung kommt. Außerdem habe ich noch ein neues Konzert für Klavier zu vier Händen und Streichorchester nach Robert Schumann fertiggestellt, nach dem Welterfolg „meines“ Brahms-Konzerts in derselben Besetzung für meine Freunde Sivan Silver und Gil Garburg, die an der Grazer Kunstuniversität die Professur für Klavierduo innehaben – ein „Sequel“ sozusagen, das 2022 im kalifornischen Santa Barbara uraufgeführt wird.

Wie viele ihrer Projekte fanden 2020 statt, nicht statt?

DÜNSER: Sechs teils große internationale Aufführungen – darunter Brüssel, Jerusalem, Salzburg – wurden abgesagt und verschoben. Manches konnte aber durch günstige Zeitfenster noch stattfinden, etwa im Wiener Musikverein und in Santa Barbara im Jänner, in Finnland im August, in Prag im Oktober.

Was bedeutet der Lockdown für Ihre Unterrichtstätigkeit in Graz und für Ihre Studierenden?

DÜNSER: Man musste auf das Online-Format wechseln, was für meine Hauptfachstudenten in Komposition gar kein Problem war und ist. Man kann Partituren und Musikdateien schicken und online miteinander kommunizieren, als wäre man im selben Raum. Bei Vorlesungen für größere Gruppen, wie etwa in der Formenlehre, ist es schon anders: Mir fehlt der direkte persönliche Kontakt, das Feedback des Augenblicks, wenn ich merke, dass die Studierenden für etwas zu begeistern sind. Der spontan stattfindende Austausch ist online doch etwas gebremst. Aber wir müssen einfach das Beste aus der Situation machen.

Welche Weichenstellungen würden Sie sich von der Politik für den Kulturbetrieb wünschen?


DÜNSER: Dass man Kultur als essenziellen Teil des gesellschaftlichen Lebens betrachtet und nicht deswegen, weil wir keine laut schreiende Lobby haben wie die Wirtschaft, mit Nullbeachtung behandelt. Theater und Konzerthäuser müssen unter Beachtung der Sicherheitsregeln aufgesperrt werden, und zwar so bald wie möglich, sonst ist das Kulturleben tot; und übrigens auch nicht so, dass die Veranstaltungen um 20 Uhr aus sind, wie es sich ein kulturferner Bürokrat ausgedacht hat. Die freien Kulturschaffenden sind schon halbtot, die müssen viel stärker gefördert werden.

Wenn es ein Licht am Ende des Tunnels geben sollte: Wie schaut dieses für Sie persönlich aus?

DÜNSER: Ich freue mich auf die Rückkehr der Kunst ins öffentliche Leben und die Möglichkeit, mit Menschen direkt in Kontakt zu treten und wieder zu verreisen.

Welche Projekte stehen an?

DÜNSER: Da wäre an erster Stelle die Arbeit an meinem 3. Streichquartett für das Selini Quartett, ein ganz junges Ensemble am Beginn einer großartigen Karriere. Dann möchte ich ein großes Orchesterwerk schreiben, mit Bezügen zur „Elektra“ von Richard Strauss, von der ich ja eine Neuinstrumentierung in reduzierter Besetzung gemacht habe. Und ich freue mich auf viele Dinge, die oft unerwartet an mich herangetragen werden.

Brauchen Sie Ihr Haus in Kitzeck als Oase für Ihre Kreativität oder können Sie überall komponieren?

DÜNSER: Die Südsteiermark ist sozusagen meine Seelenlandschaft, die mich für mein Schaffen optimal inspiriert. In Wien oder im Zug dahin erledige ich meistens so Arbeiten wie Instrumentieren oder Stimmen herstellen. Kitzeck ist für mich und meine Familie ein wunderbarer Rückzugsort zum Leben und zur Erfüllung meiner künstlerischen Träume.