Am Wochenende war die Reiterkaserne der Taubenschlag europäischen Operntheaters. Der Intendant des Brüsseler Theaters La Monnaie, Peter de Caluwe, schneit herein, während der Leiter des Theaters an der Wien, Roland Geyer, schon in die Materie vertieft ist und über einer der zahlreichen auf den Tischen verteilten Mappen sitzt. 126 sind es diesmal, lauter Einreichungen junger Regisseure und Bühnenbildner, die sich über die Oper aller Opern, Wolfgang A. Mozarts „Don Giovanni“, Gedanken gemacht haben. 126 Konzepte, die letzte Woche von einer prominenten Jury begutachtet worden sind: Geyer, deCaluwe, Serge Dorny (bald Chef der Münchener Staatsoper), Peter Theiler von der Semperoper Dresden, Benedikt von Peter aus Basel, Sophie De Lint, Chefin in Amsterdam, und viele andere Macher und Gestalter der internationalen Opernwelt.

1995 gegründet

Der Kulturmotor, Kommunikator, Netzwerker und Theaterbesessene Heinz Weyringer hat sie alle nach Graz gebracht. Wieder einmal – denn es ist bereits der 9. Ring Award, der im nächsten Jahr vergeben werden soll. Der Wettbewerb für Musiktheaterregie und Bühnengestaltung ist seit seiner Premiere vor 22 Jahren zur Kaderschmiede geworden. Fast alle der Gewinner (und viele Zweit- und Drittplatzierte) des Ring Award haben Karriere gemacht.

Kein Wunder, dass der Posteingang überquoll. Waren es 1997 noch 33 einreichende Teams, stieg die Zahl bis 2017 auf 89. Mit 126 Einreichungen von 326 teilnehmenden Künstlern stellt der Bewerb 2020 diese Zahl noch einmal in den Schatten. Aus 32 Nationen von allen fünf Kontinenten kommen die Bewerber, die darauf spekulieren, beim Finale Ende Juni 2020 ihr Regiekonzept im Grazer Schauspielhaus auf die Bühne bringen zu können. Schaffen werden es nur drei Teams, aber diesen steht die Tür zu einer Laufbahn weit offen.

Wer glaubt, dass Theater nur im Moment der Aufführung lebendig wird, wird von den 126 Mappen eines Besseren belehrt. Heinz Weyringer, der den Ring Award Mitte der Neunziger entwickelte und realisierte, ist auch nach fast einem Vierteljahrhundert leidenschaftlicher Arbeit aufgeregt wie ein Debütant: „Für mich ist das der schönste Augenblick im Bewerb, wenn alle Einreichungen einmal daliegen.“ Was daliegt, ist nicht weniger als ein Frontalangriff der Fantasie und Kreativität auf vorgefasste Meinungen vom Stück. 126 Mal „Don Giovanni“ interpretiert: einmal in einem schwarzen Raum, in dem am Ende eine Guillotine steht. Einmal als Geschichte aus einem Altersheim für Künstler, wo sich der Frauenliebling noch einmal ans weibliche Geschlecht heranmacht. Einmal wacht die verstorbene Dragqueen Divine überlebensgroß über der Szenerie. Man findet Rüschenhemden und Glitzeranzüge, überbordende Kostüme und strengste Schlichtheit, Bühnenbilder, die von comichafter Pop-Art geprägt sind und solche, die Endzeitstimmung verbreiten.

Die anonymisierten Bewerbungen werden von der Jury bei Gefallen mit einem roten Punkt markiert. Am Ende der morgen endenden ersten Auswahl sollen so neun Semifinalisten feststehen, die im Jänner der Jury ihr Konzept live präsentieren. Die besten drei kommen ins Finale weiter und müssen dann zeigen, dass ihre Konzepte und Gedanken auch der Bühnenrealität standhalten können.