Herr Habjan, wenn man sich Ihren dichten Terminkalender zwischen Zürich, München, Wien oder Graz und all die geplanten Inszenierungen für die Saison 2019/2020 ansieht, fragt man sich: Leben Sie noch oder arbeiten Sie nur?
NIKOLAUS HABJAN: Man kriegt nicht immer mit, welche Vorlaufzeiten die Stücke zum Teil haben. Das Geheimnis ist immer eine gute Vorlaufzeit.

Nehmen Sie sich Auszeiten?
Immer, denn ich brauche diese Zeit, um das Hirn einmal abzuschalten. Aber nach zwei Wochen ist mir dann schon wieder fad. Dann juckt es mich in den Fingern und ich fange an, Notizbücher vollzukritzeln, zu zeichnen und Ideen zu haben. Mir fällt dauernd etwas ein und das muss ich aufschreiben: Puppen, Gesichter, Puppenköpfe, Ideen für Konzepte oder Stücke, von denen ich gar nicht weiß, ob ich sie jemals machen werde. Die Quote von dem, was ich mir aus dem Hirn schüttle und was dann auf die Bühne kommt, liegt schon bei 75 Prozent.

Was muss eine reale Person eigentlich machen, dass sie zu einer Ihrer Puppen wird?
Das ist unterschiedlich. Im Fall von Friedrich (Anm. Friedrich Zawrel, Überlebender des Kinder-Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten) war es klar. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein: eine Person, die mich ärgert und mir so viel Frust bereitet, dass ich sie in etwas Positives umwandeln muss, in eine Bühnenfigur, mit der ich besser umgehen kann.

Bekommen wir ein Beispiel?
Das darf ich nicht sagen, gerade in Graz nicht. Es könnte schon sein, dass der eine Lehrer oder die andere Lehrerin sich bei mir auf der Bühne wiedererkennt.

Welchen Vorteil haben Puppenfiguren gegenüber jenen aus Fleisch und Blut?
Puppen verhelfen einem zu einem anderen Zugang, weil man mit mehreren Ebenen zu tun hat: mit der des Spiels und der des Spielers, aus der man konstant aussteigen kann. Man kann zwischen Wahrhaftigkeiten wunderbar changieren und das Thema tot und lebendig stark zeigen. Eine Szene in einem Puppentheater einer israelischen Künstlerin werde ich nie vergessen: Sie hat ein Stück über ein todkrankes Kind gemacht, das konstant mit der Puppenspielerin im Gespräch war und wissen wollte, wie es ist, tot zu sein. Die Puppenspielerin hat gesagt: „Ich zeige es dir kurz“, und hat die Hand ein wenig aus der Puppe gezogen und sie wieder hineingesteckt.

Morgen feiern Sie mit Carl Maria von Webers „Oberon“ Premiere im Theater an der Wien. Was erwartet Besucher?
„Oberon“ ist ein sehr schwieriges Stück, es kommt aus dem britischen System mit starken Vorgaben. Die Handlung ist sehr wirr, auch mit schweren dramaturgischen Tücken. Und es gibt massiv viel Text. Text und Musik halten sich die Waage, was für eine Oper ungewöhnlich ist. Die Anforderungen an die Sänger sind brutal. Deswegen wird „Oberon“ meist konzertant aufgeführt.

Wie lösen Sie diese Probleme?
Ich habe eine Rahmenhandlung konstruiert, dadurch kann ich mit diesen dramaturgischen Tücken umgehen und sie auf der Bühne zeigen, ohne das Stück zu entlarven. Oberon und Titania, die sich streiten, ob Mann oder Frau treu sein kann, sind bei mir Wissenschaftler in einem Verhaltenslabor. Dieses ist angelehnt an das Labor des Harry Harlow, der mit Affenbabys grausame Experimente über Bindung und Liebe gemacht hat. Es wird keine Elfen und Feen geben, aber viel Zauberei und Magie.