Es beschleicht einen schon in den ersten Minuten eine Form von Skepsis gegenüber diesem Idyll. Vater, Mutter, Kind, die heile Welt, sie ist nicht mehr als ein schöner Schein. Wie sich überhaupt das Unausgesprochene, das Angedeutete durch die siebenteilige Serie zieht. Es sind viele Blicke, die sich in den ersten Folgen begegnen und viel sagen, ohne etwas zu sagen. Mit neun Jahren kommt Alice Hart zu ihrer Großmutter auf eine Blumenfarm, davor verlor sie Mutter und Vater. Ihre heile Welt war immer nur erhofft, bis zum nächsten Schlag. Vom fürsorglichen Vater zum brutalen Schläger brauchte es nur Sekunden. Häusliche Gewalt ist das zentrale Thema der Serienumsetzung des gleichnamigen Romans von Holly Ringland.

Das Kind wächst bei der Großmutter auf, die ihr bislang fremd war, wie auch die Stimmung, die auf der Blumenfarm Thornfield herrscht: Es sind vor allem Frauen, die hier im Kollektiv die Farm betreiben und sich gegenseitig unterstützen. Eine prächtige Anlage, friedlich, eine Art Garten Eden, zumindest auf den ersten Blick. Großmutter June Hart, dargestellt von Sigourney Weaver, ist das Epizentrum der Farm. Matriarchin durch und durch, alles ordnet sie der Farm und ihren Bewohnerinnen unter – selbst die eigene Familie. Folge für Folge und mit dem Älterwerden von Alice lüften sich die Geheimnisse. Bisweilen verliert sich die Serie zu sehr darin, eben diese Geheimnisse zu verschleiern. Mit Flashbacks, Erinnerungsfetzen oder romantischen Tagträumereien. Manches davon ist entbehrlich.

Doch die Stärke der Serie liegt vor allem darin, wie sie die vielen Gesichter der Gewalt gegen Frauen skizziert. Wie die Gewalt einzelne Personen, Familien und Gemeinschaften prägt. Wie sie einen ein ganzes Leben lang fest in ihrer Hand hat, sich ausbreitet, festsetzt und den psychischen Schmerz beständig nach außen pumpt. Sigourney Weaver brilliert als Bewahrerin ihres Lebenswerks, die dafür beständig über ihre eigenen Grenzen geht und so massiv in das Leben jener eingreift, die ihr am nächsten stehen. Heiligt der Zweck die Mittel? Manchmal ja. Die zu dramatische Inszenierung der Landschaft und manche szenisch zu kitschigen Ausreißer einmal abgesehen, macht die Serie vor allem eines: betroffen und wütend. Sie berührt und bleibt eindringlich im

„The Lost Flowers of Alice Hart“ ist auf Amazon Prime zu sehen.