Es gab nie einen Grund zur Beschwerde – zumindest wenn man Teil der inneren Dämonen von Mötley Crüe war, dann hatte man genug Freiraum. Vince Neil, Mick Mars, Nikki Sixx und Tommy Lee wussten vielleicht nicht, wie man Exzess schreibt, aber dafür mit absoluter Sicherheit, wie man ihn auslebt. Anfang der 1980er vom Kalifornier Nikki Sixx gegründet, waren Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll für die vier Herren nicht mehr als eine Aufwärmübung. Die Band-Biographie „The Dirt“ erschien im Jahr 2001 und schaffte es sogar auf die Bestsellerliste der „New York Times“. Der Inhalt: ein real gewordener Veitstanz gepaart mit der hohen Kunst der Spießerverachtung. Oder wie Schlagzeuger Tommy Lee dem „Playboy“ sagte: „Es ist irre, dass ich und die Jungs das tatsächlich überlebt haben.“ Kein Wunder, denn die vier Burschen waren seiner Meinung nach fast wie die Unschuldslämmer vom Lande: Niemand habe ihnen gesagt, wie sie „all die Frauen, die Drogen, die Luxushotels und das viele Reisen“ handhaben sollten.

Nikki Sixx etwa wäre zweimal fast an einer Überdosis gestorben – jetzt wird er mit 60 Jahren zum fünften Mal Vater. Oder Vince Neil, der 1984 mit dem Schlagzeuger der Band Hanoi Rocks alkoholisiert einen Unfall verursachte, der Schlagzeuger war sofort tot. Oder Tommy Lee, der 1994 mit einer halb automatischen Waffe und Munition in Los Angeles in den Flieger steigen wollte. In Summe: ein Leben am Anschlag. Auch ihr latenter Hang zu Playmates, Models und Schauspielerinnen, wie etwa Heather Locklear oder Pamela Anderson, sorgten immer wieder für Schlagzeilen. Und doch hielt das Quartett – mit einigen zwischenzeitlichen Trennungen – bis zum Jahr 2015 durch, um dann nach einer Abschiedstournee stilecht zu abzutreten.

Schon mehrfach war die Verfilmung der Biographie geplant, jetzt hat Netflix den Sack zugemacht und stellt „The Dirt“ am 22. März auf die Plattform. In den Hauptrollen Douglas Booth, Daniel Webber, Iwan Rheon („Game of Thrones“) und der Rapper und Schauspieler Machine Gun Kelly. Letzterer hat mit der Band gemeinsam den Titeltrack „The Dirt“ eingespielt. Ob der Film nun eine neue Ära des Glamrock einläuten wird? Das würden selbst die größten Optimisten verneinen. Auch die Band selbst schwört, dass es kein Comeback geben wird. Aber wer weiß, vielleicht packt die vier ja doch noch der Zukunftsrausch.