Was tun, wenn nach einem ganz großen Wurf etwas noch Größeres erwartet wird? Sich zu Tode fürchten oder doch lieber am Leben bleiben, sich lässig zurücklehnen und dann, fast in einer Nacht- und Nebelaktion, die neue Katze aus dem Sack hüpfen lassen? Solange Knowles, üblicherweise mit dem Zusatz „kleine Schwester von Pop-Superstar Beyoncé" versehen, hat sich für Letzteres entschieden. 2016 erschien ihr bahnbrechendes Album „A Seat at the Table“, mit dem sich die 32-jährige Sängerin, Tänzerin und Songschreiberin an die Spitze einer künstlerischen New-Black-Power-Bewegung katapultiert hat. Und jetzt, fast aus dem Nichts, veröffentlichte sie das Nachfolgealbum „When I Get Home“. Die politische Dringlichkeit des Vorgängers fehlt – zumindest vordergründig.

Solange und Beyoncé
Solange und Beyoncé © EPA (EVERETT KENNEDY BROWN)

Dafür besticht das Album durch eine unglaublich lässige Coolness, hinter der ein ganzer Schwarm an hochkarätigen (Gast-)Musikern steckt: Pharrell Williams, „Blood Orange“, Sampha, Earl Sweatshirt, Panda Bear u. v. m. Doch nicht um „Feature-Dropping“ geht es hier, vielmehr ist ein Premium-Kollektiv am Werk, das einen klugen, aber nie pädagogisch verbrämten Soundtrack für die Trump-und-Konsorten-Ära liefert. Wo die Tagespolitik keift, halten Solange & Co. mit samtigem Mellow-Sound dagegen, der viel Selbstbewusstsein ausstrahlt, aber nie protzt – das erledigen schon die anderen. Die Last des großen Vorgängeralbums wird also locker geschultert, ohne auch nur eine Sekunde ins Leichtgewicht abzurutschen. Chapeau!


Doch die Sanftheit der Performance und das Blubbern der Moog-Keyboards sind trügerisch. Sicher, Songs wie „Jerrod“ und „Dreams“ sind klassische R&B-Balladen, „My Skin My Logo“ jazzelt himmlisch dahin, „Way to the Show“ funkt im Schlurfschritt. Doch unter der Oberfläche brodelt auch auf diesem Album jene textliche Wildheit und Wut, die auf „A Seat at the Table“ so wunderbar widerständisch bislang schamvoll verdeckte Wunden offengelegt hat. Im Song „Binz“ geht es um rassistische Klischees, doch der Kernpunkt dieser Songsammlung ist wohl das Lied „Almeda“, in dem Solange die eigene(n) Identität(en) und die Zerrissenheit ihrer Kultur(en) thematisiert.

Wie schon der Titel erahnen lässt, geht es auf „When I Get Home“ um Heimat und Herkunft, um Erwachsenwerden und Erweckung. Und um die Frage nach Wegweisern. „No Direction Home“ hat Bob Dylan gewusst, Solange ahnt es wohl. Das sind dann nicht mehr ausschließlich Schwarz-Weiß-Fragen, das sind farbenunabhängige Fragezeichen. Die Antwort? Es gibt keine. „I can’t be a singular expression of myself“, singt Solange. „Ich bin viele.“

Ihre Heimatstadt Houston, Texas, ist ein harter, aber hochkreativer Boden für diese Spurensuche. Dorthin kehrt Solange immer wieder zurück auf diesem Album. Die Familie liegt auf dem Weg, Freunde säumen die Straßen. Aber im Zentrum steht der Glaube. Der unerschütterliche Glaube an eine Zukunft ohne Rassismus. Die Souveränität, mit der Solange davon singt, verleiht diesem Glauben eine große poetische Würde.

"When I Get Home" von Solange Knowles
"When I Get Home" von Solange Knowles © Columbia Records

Turbulentes Trio: Solange, Beyoncé und Jay-Z

Die klassische Rollenverteilung sieht es so vor: Beyoncé Knowles ist die große Schwester, der übergroße Superstar, die perfekte Entertainment-Maschine, die auf dem Mainstream obenauf schwimmt. Solange Knowles ist die kleine Schwester, lange im Schatten von „Queen Bey“, doch spätestens mit dem Album „A Seat at the Table“ schwer emanzipiert und zur Königin der Bürgerrechts-Intelligenzia erkoren. Doch die Klischees sind nicht flächendeckend haltbar. 2016, im Jahr des musikalischen Durchbruchs der „kleinen Schwester“, hat sich auch Beyoncé mit dem Album „Lemonade“ als schwarze Aktivistin und Feministin positioniert, die auch ihre wechselhafte Beziehung mit ihrem „Mannsbild“ Jay-Z thematisierte.

Einblick ins offensichtlich recht turbulente Familienleben der Knowles gab auch ein 2014 publik gewordenes Überwachungsvideo aus einem Fahrstuhl. Darauf ist zu sehen, wie Solange ihren Schwager mit der Handtasche attackiert. Eine auf allen Ebenen schlagkräftige Frau also, die sich weder durch geschwisterliche Konkurrenz noch durch männliche Rap-Größe einschüchtern lässt.