"Den traurigen Ausverkauf der Megaseller", beklagten Fans, als sie erfuhren, das Brian Johnson die letzten zwölf Konzerte der Rock or Bust Tour in Europa nicht mehr bestreiten kann. Die Röhre stieg aus Angst vor dem totalen Gehörverlust aus.
Die Band erwägte Absagen und entschied sich doch anders. Man holte Axl Rose an Bord, der im Jahr seines Comebacks mit Slash als Guns'N'Roses plötzlich ein besonders intensives Konzertjahr vor sich hatte. Zehn Guns'N' Roses-Shows sind vertagt, nach AC/DC wartet die Gunners-Stadion-Tour mit Slash auf ihn.
Unerhört
Fans und Skeptiker fanden es unerhört, dass Rose Johnson am Mikro ersetzen sollte: Kann das funktionieren? Ja, weiß man seit dem ersten Gig in Lissabon von 7. Mai. Ja, und wie! Wissen wir seit gestern das Happelstadion höllisch überkochte.
Wieder auf den Beinen
Schon beim Opener "Rock or Bust" sitzt alles: Die Riffs, die Soli, die Stimme. Nur Axl steht. Die US-Röhre saß ja die ersten vier Konzerte auf einem Thron, seinen linken Fuß immer noch geschient, nachdem er sich den Mittelfußknochen gebrochen hatte. Jetzt war er wieder auf den Beinen. Spätestens mit "Back in Black" ist allen klar: Die Problem-Diva schneidet sich mit ihrer Stimme wie eine Kreissäge in den Starkstrom-Kosmos. Energiegeladen, gut gelaunt.
Höchstform
Nein, er läuft noch nicht - wie zu seinen besten Zeiten über die Bühne. Aber er läuft angetrieben von den Fans und den teuflischen Riffs und Soli des Band-Gründers Angus Young stimmlich zur Höchstform auf. Selbst Katrin aus dem Burgenland, die "natürlich lieber Brian am Mikro gehört hätte", gibt zu: "Er ist schon ziemlich gut!"
Nur noch zwei echte AC/DC-Hackler
Hells Bells, You Shook Me All Night Long - alle Megaseller der 43-jährigen Band-Geschichte knallt die Formation ins Oval. Dass hier nur noch Angus und Cliff Williams am Bass zu den echten AC/DC-Hacklern gehören, wen kümmert's? Die Masse ist längst - High Voltage - voll unter Strom. Der Rock'n'Roll Train stampft durch den Prater als gäb's kein Morgen mehr. Der Thunderstruck schlägt ein und Tausende rote Plastikhörner auf Fanhäuptern blinkern im Takt durch Wien bei Nacht. Obwohl selbst Angus in Interviews schon darüber nachdenkt, wie es angesichts des personellen Aderlasses überhaupt noch weitergehen kann: An diesem Abend können die 50.000 im Stadion noch nicht an Abschied denken.
Rocksaurier und Megaseller
Denn das war jedenfalls übergroß - wie AC/DC schon seit Jahren konstant. Es gibt gerade noch eine Handvoll Bands, die eine Tour lang vor Arenen spielen können und oft genug ausverkauft sind. Sie zählen zu den wenigen Rock-Sauriern, die auch außerhalb mehrtägiger Festivals, ganz allein Massen anziehen, wie sonst heute nur noch die Superstars unter den DJs. Die druckvollen Riffs ermüden freilich irgendwann nach 90 Minuten. Es funkt und funktioniert, aber die Variation haben die Herren um Angus Young nicht erfunden.
Präzision und Disziplin
Auch wenn es ein bisschen an Chemie und Sympathie, an Geben und Nehmen zwischen der Band und der Zweitbesetzung am Mikro fehlt: Der Abend, durchgetaktet mit hartem Beat und dreieinhalb schmuztigen Gibson-Akkorden, wird wie schon die letzten vier Konzerte zum Triumph des Axl Rose. Seit Jahren erntet er Häme statt Applaus. Keine Stimme, keine Kondition, keine Disziplin und die alten Eskapaden - wie das Publikum stundenlang warten zu lassen - das war der Stoff aus dem der Axl-Trash-Tratsch war. Der Axl aus dem Sauestoffzelt ist Geschichte. Der Gig gestern startete pünktlich und verlief mit der Präzesion und Disziplin, die man nicht sehen muss, aber braucht, damit Rock-Salven zünden. Kolportiert wird, der US-Sänger werde erst am Ende der Tour ausbezahlt, um sicherzustellen, dass er keine Mäzchen mache.
Kam, stand, sang und siegte
Mit seiner Performance auf der AC/DC-Tour rettet Axl die Band durch das letzte Dutzend Konzerte, vor allem aber sich selbst. Die Stimme sitzt, sie krächzt an der Pforte zur Rock'n'Roll-Hölle und bringt Hells Bells perfekt zum Klingen. Eine Legende hat sich mit Angus Youngs Hilfe wieder auf den Thron gestoßen. Nach zwei Stunden eröffnen sie den Zugaben-Block mit dem legendären "Highway to Hell" - er führte Axl direkt in die "Paradise City".