Zufrieden waren sie nicht, weder Fans noch Band: Als R.E.M. 2007 fünf Nächte im Dubliner Club Olympia auftraten, stand viel auf dem Spiel. Das lauwarme letzte Album, "Around the Sun", voll uninspiriertem Einheitsbrei, drohte, die Band in der künstlerischen Mittelmäßigkeit versinken zu lassen. Im CD-Regal unter "Dad-Rock" eingereiht zu werden, irgendwo zwischen Rod Stewart und U2 – es wäre hätte wohl die Trennung der Herren Buck, Mills und Stipe bedeutet. Daher: Flucht nach vorne. Accelerate.

Da stand man nun also, im kleinen Club. Wie damals, Mitte der Achtziger, nachdem die Band dem Alternative Rock das Licht der Welt geschenkt hatte. Bevor man die größte Band der Welt wurde, bevor man Politik und Grundge machte, bevor man unsanft vom Rundflug um die Sonne auf dem harten Erdboden der Realität landete. Ein neues Album entstand gerade, es sollte das Beste seit zehn Jahren werden. Die Songs von "Accelerate" galt es live zu testen, um nicht wieder im Ideen-Wirrwarr des Studioalltags den Fokus zu verlieren. "This is not a show" gibt Mike Mills zu Beginn dieses wundervollen Dokuments zu Protokoll – dann erdröhnt das Riff von "Living well ist the best Revenge" – und die Zweifler werden von Michael Stipe zum Schweigen geschrien. R.E.M. sind wieder da - und endlich wieder laut.

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Dazwischen spielte die Band jedoch rund 30 Songs (ausnahmslos alle sind jetzt nachzuhören), quer durch den einmaligen Backkatalog. Ein Geschenk an die Fans, die dieser Live-Probe beiwohnten. Nur eines hat die Auswahl von "Harbourcoat", über "Kohoutek", "Cuyahoga" und dem dreckig krachenden "Circus Envy" gemein: Die Hits der Band sich das gewiss nicht. Und genau darin liegt das Schöne. Ohne große Anstrengung und möglichst locker wird da durch "Wolves, lower" gepflügt, als spiele die Band den Song jeden Abend nach ein paar Bier. Doch auch so mancher Fehler wird hörbar und gibt dem Doppel-Album einen ganz eigenen Charme: "Disturbance at the Heron House" erleidet einen Fehlstart, bei "Drive" liegt Michael Stipe beim Einsatz mal eben daneben. "Losing my Religion" hat man da aber ohnehin schon längst vergessen.

Was bleibt, ist die pure Schönheit dieser Lieder. Es wirkt, als habe sich die Band aus dem amerikanischen Süden zurechtgeschrumpft - im Pop-Olymp ist ohnedies kein Platz für alternde Herren mit der gewissen musikalischen Eigenheit. Man scheint das akzeptiert zu haben, die Nische ist bequem eingerichtet, das Ö3-Publikum muss jedoch draußen bleiben. R.E.M sind wieder zu einer Band geworden, die etwas zu sagen hat, die Kunst vor Kommerz stellt. Wie sie das geschafft haben, ist wunderschön nachzuhören.

8,7 / 10