Warten auf Radiohead, warten auf den Regen: Drohende Gewitterwolken und Wind trübten schon am Nachmittag des zweiten Festival-Tages die Aussicht auf die Österreich-Premiere der britischen Avantgarde-Alternative-Rocker. Ein bunt gemischtes Konzertprogramm mit Achtziger-Jahre-Einschlag verkürzte die Wartezeit auf die Bescherung. Beispielsweise der britische Shooting Star Little Boots alias Victoria Hesketh, die im futuristischen kleinen Schwarzen mit zuckersüßem Trash-Pop entzückte. Oder Tomte und Kettcar aus der "Hauptstadt der Gefühle" Hamburg, die ihre treue und textsichere Fanbase mit launigen Zwischenansagen und Festival-tauglichem Indierock zufrieden stellten. Eine hohe Hitdichte und beste Stimmung herrschte bei Farin Urlaub und seinem Racing Team (kurz "FURT").

Vor ein Dilemma stellte das Hauptabendprogramm die Besucher: Kopf oder Körper, weiß oder schwarz, Radiohead oder Grace Jones lautete die Gewissensfrage. Die Antwort: Wie auch immer man sich entschied, man konnte es nicht falsch machen, denn auf beiden Bühnen wurde Großes geboten. "Amazing Grace", die Warhol-Muse, Disco-Ikone und androgyne Göttin begrüßte das Publikum, bekleidet mit Federhelm und Fühlern, Sakko und Korsage, mit den Worten "Welcome to my Hurricane" (der Titel ihres Comeback-Albums), gesprochen mit ihrer unvergleichlichen tiefen Stimme und einer extra langsamen Version von "Nightclubbing". Es folgten jede Menge Kostümwechsel, Tanzeinlagen an der Stripperstange, eine gut zehnminütige Darbietung von "Slave to the Rhythm" mit einem kreisenden Hula-Hoop-Reifen um die Hüften. Eine beeindruckende Leistung, nicht nur für eine 61-Jährige.

Ebenso eindrucksvoll, was gleichzeitig auf der Hauptbühne gezeigt wurde: Schon die Gewitterwarnungen vor dem Konzert erhoben den Abend sanft vom lauwarmen Block-Party-Rock in eine ganz andere, geheimnisvollere Sphäre. Die fünf zurückhaltenden, fast unsichtbaren Popstars verschwanden ab den ersten Takten von "15 Step" für die kommenden zwei Stunden in ihrer glasklaren, einzigartigen Klangwelt und einer perfekt abgestimmten Lichtshow. Der Star ist ganz alleine in dieser wundervollen, genreübergreifende Musik, vorzugsweise vom letzten Album "In Rainbows". Die Zeit, als bei Radiohead noch Gitarren statt Computern regierten, wurde nahezu komplett ausgeklammert. Somit oblag es einzig und allein der vielschichtigen Stimme des am Bühnenrand zappelnden Thom Yorke, die komplexen Soundgeflechte zusammen zuhalten. Jauchzend, kreischend, himmlisch und nervtötend warf der kleine Mann seine stimmliche Größe in die riesige Menge vor der Hauptbühne. Hier wurde getanzt, dort mitgesungen und dazwischen immer wieder Paare, dich sich ob der Schönheit des Dargebotenen aneinander klammerten. Als Radiohead das Festival mit "Street Spirit" und "Videotape" in bittersüße Melancholie tauchten, rollte gar so manche Träne. Selbst der Himmel verharrte in Andacht: Der Regen kam nie.