Die wenigsten Menschen, die mehr oder weniger regelmäßig klassische Medien konsumieren, sind sich wohl der tragenden Rolle bewusst, die Nachrichtenagenturen seit ihrer Erfindung vor rund 150 Jahren spielen. Die größten dieser Agenturen haben die Dimension von Konzernen; die US-amerikanische Associated Press erreicht vier Milliarden Menschen täglich. Sie bilden weltweite Netzwerke und versorgen TV und Zeitungen mit Nachrichten, Bildern, Grafiken und anderen Dienstleistungen.

Allerdings stehen auch die Nachrichtenagenturen mitten in einem Transformationsprozess, der um Digitalisierung, Artifical Intelligence (AI), Vertrauen sowie Unabhängigkeit kreist. Unter dem Titel "Democracy Dies in Darkness" – so lautet seit 2017 der Slogan der US-Tageszeitung "Washington Post" – fasst Clemens Pig, CEO der Austria Presse Agentur (APA), in einem lesenswerten Buch die Herausforderungen zusammen und beschreibt Wege zu deren erfolgreicher Bewältigung (die Kleine Zeitung ist über die Styria Media Group AG Miteigentümer in der als Genossenschaft organisierten APA).

Clemens Pig bei der Buchpräsentation von "Democracy Dies in Darkness"
Clemens Pig bei der Buchpräsentation von "Democracy Dies in Darkness" © APA/Ludwig Schedl

Gegen die Propagandisten der Autoritären

Pig sieht Europas unabhängige Nachrichtenagenturen im Kampf gegen Staatsagenturen, die – offen oder verdeckt – als Büttel und Propagandisten ihrer autoritären bis diktatorischen Regierungen von Russland, China und Co. agieren. Seine Vision ist deshalb ein "europäischer Wissensraum von freien Agenturen und Medien, in dem verifizierte und zuverlässige Informationen den Input für kontrollierte, gemeinsame AI-Anwendungen bilden".

An diesem Zitat zeigt sich schon, dass sich der Autor nicht lange mit einem Lamento über die angeblich guten alten Zeiten aufhält; wohl auch weil er weiß, dass diese Zeiten für den Journalismus nie auch nur annähernd so wunderbar waren, wie wir uns das gerne einbilden. Stattdessen plädiert Pig für die offensive Nutzung der neuen Möglichkeiten, allen voran von Künstlicher Intelligenz. Dabei verschließt er nicht die Augen vor den Risiken und Missbrauchspotenzialen, doch überwiegen für ihn die Chancen generativer Sprachmodelle und automatisierter Standardprozesse, von denen er sich eine Entlastung der Redaktionen von Routinetätigkeiten erwartet. Um Horrorszenarien – Stichwort Roboterjournalismus – zu unterbinden, plädiert der Autor für robuste gesetzliche Regelungen.

Wirtschaftlicher Erfolg Garant von Unabhängigkeit

Die fortgesetzte Umwandlung der Agenturen in News-Techplattformen sieht er als Voraussetzung und eigentliche Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg, weil das klassische Kerngeschäft – Berichterstattung via Text und Bild – ausgereizt sei. Unternehmerischer Erfolg wird so einmal mehr zur verlässlichsten Rückversicherung journalistischer Unabhängigkeit. An der rechtlichen Bändigung und produktiven Nutzung Künstlicher Intelligenz für Journalismus und die Entwicklung neuer Geschäftsfelder wird sich daher für Pig die Zukunft entscheiden. Und zwar für die Nachrichtenagenturen und deren Medienpartner und Kunden.

Um noch einmal deutlich zu machen, wie viel allein in Europa auf dem Spiel steht: Die 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU konsumieren täglich die Medienangebote von rund 5000 Zeitungen, 50.000 Zeitschriften und Magazinen sowie von 4500 Radio- und TV-Sendern, für deren Redaktionen die Nachrichtenagenturen das Rückgrat bilden. Hinzu kommen zahllose Tweets, Posts, Likes, Shares und Kommentare, die ihren Ausgangspunkt meist in den professionellen journalistischen Angeboten haben. Das sind beeindruckende Fakten, doch sie allein ergeben noch kein nachhaltiges Geschäftsmodell.

Trotzdem bemisst sich an diesen Zahlen der Berg an Verantwortung, um die es bei der epochalen Transformation der Medien geht. Unsere freie Gesellschaft ist, wie Pig treffend formuliert, tatsächlich auf vertrauensvolle Nachrichten genau angewiesen wie auf sauberes Trinkwasser. Wir sollten daher die Daumen drücken, dass das Unterfangen gelingt.