"Wir haben frisch gedruckte Flugblätter, einen ganzen Koffer voll. Und morgen werden wir sie auf der Uni verteilen.“

Worte von gestern auf der Plattform Instagram. Und Worte von gestern vor 79 Jahren: Am 18. Februar 1943 wurde Sophie Scholl an der Ludwig-Maximilians-Universität in München verhaftet, vier Tage später vollstreckte das nationalsozialistische Regime gegen die Widerstandskämpferin und ihren Bruder Hans die Todesstrafe.

Seit fast 300 Tagen beantwortet ein Instagram-Projekt die Frage, wie sich die Geschichte der "Weiße Rose"-Ikone, einer Widerstandsgruppe gegen die Nazi-Diktatur, mit zeitgenössischen Mitteln erzählen lässt. Sophie Scholl (gespielt von Luna Wedler) gibt in @ichbinsophiescholl als Instagram-Userin mit Fotos und Videos Einblicke in ihre letzten Lebensmonate zwischen Widerstand, Schwärmerei, Hoffnung und dem Bedürfnis nach Freiheit. Mit dem Jahrestag der Hinrichtung endet die aufwendige Projektion der Widerstandskämpferin in die Gegenwart.

Das vom SWR initiierte und gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk realisierte Projekt hat das selbst gesteckte Ziel von 200.000 Followern weit übertroffen. Neben Ideengeberin Susanne Gebhardt und Ulrich Herrmann, beide SWR, ist Lydia Leipert (BR) als Redakteurin für das Projekt verantwortlich. Im Interview erzählt sie vom Lernprozess, Nachbesserungen, Anfeindungen und wichtigen Grundfragen.

Hunderttausende User und Userinnen verfolgten die letzten zehn Monate im Leben der  Sophie Scholl (Juna Wedler).
Hunderttausende User und Userinnen verfolgten die letzten zehn Monate im Leben der Sophie Scholl (Juna Wedler). © (c) SWR/BR/Sommerhaus/Rebecca Rütten

@ichbinsophiescholl erreicht zum Abschluss 750.000 Follower mit anhaltend hoher Interaktionsrate. Damit erhielt das Projekt eine enorme Reichweite. Wie sahen vor dem Start die Zielvorstellungen aus?
Lydia Leipert: Wir haben uns überlegt, welche Zielgruppe wir erreichen wollen und uns besonders auf die Zielgruppe der 18-25-Jährigen fokussiert, vor allem Frauen – Instagram geschuldet. Zahlenmäßig wollten wir 200.000 Menschen erreichen bis Kanalende. Nach vier Tagen hatten wir eine halbe Million – das war natürlich total überwältigend. Wir waren auch fast überfordert, muss man sagen, weil wir im Community Management nicht dafür aufgestellt waren, dass da auf einmal eine halbe Million Menschen mit Sophie Scholl interagieren will. Die User fragten dabei nicht nur "Sophie, wie geht es dir?", sondern auch zum Beispiel: "Wie war das damals genau mit dieser Goebbels-Rede." Das ist für das Communitymanagement-Team eine große Herausforderung, sich so intensiv wissenschaftlich einzuarbeiten. Das ist kein einfaches "Daumen hoch"/"love"/"like"-Communitymanagement.

Wie schwierig war dieser Grenzgang, faktenbasiert zu sein, die Fakten aber auch emotional zu einer Geschichte auszubauen?
Immer diesen Grenzgang zu schaffen zwischen "Das ist eine typische Person auf Instagram" und gleichzeitig ist das keine Influencerin, die uns Beauty-Produkte vertickt. Das war eine der zentralen Herausforderungen.

Die Schweizer Schauspielerin Luna Wedler ("Biohackers").
Die Schweizer Schauspielerin Luna Wedler ("Biohackers"). © (c) SWR/Nils Schwarz

Was macht man mit diesen vielen Erkenntnissen, wie man Geschichten auf einer Online-Plattform erzählen kann? Gibt es ein Nachfolgeprojekt?
Natürlich sind wir jetzt alle angefixt. Ich bin ja selbst Historikerin und mir geht einfach das Herz auf, wenn ich die Kommentare der User und Userinnen lese, die da mitleben, mitfiebern. Die haben zehn Monate lang mitbekommen, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben, was Widerstand bedeutet. Natürlich ist das nicht allumfassend, aber es ist ein Eindruck, ein Gefühl und ein Impuls, sich mehr zu informieren. Insofern bin ich total offen und freudig, da mehr zu machen. Aber wir finden es gar nicht so leicht jemanden zu finden, der so viel mitbringt wie Sophie Scholl.

Gab es im Laufe des Prozesses Anpassungen beim Konzept?
Wir hatten einen Nachdrehtag, wo wir uns tatsächlich inhaltlich stärker auf zwei Themenkomplexe fokussiert haben, die wir wichtig fanden und die wir noch einmal betonen wollten: Das war zum einen BDM, also die Zeit der Scholl-Geschwister in der Nazi-Jugendorganisation. Und dann das Thema Religion und Glaube, da haben wir gemerkt, die Community interessiert sich dafür. Da waren wir am Anfang fast zu vorsichtig mit Informationen, weil wir Angst hatten wie Schulfernsehen zu wirken. Aber wir haben gemerkt, dass die Community viel mehr Informationen braucht und auch einfordert. Die Community will nicht nur das Oberflächliche, die will mehr wissen.

Wie sah es mit Anfeindungen aus – gab es solche?
Wir hatten einmal über Nacht von rechts gerichteter Seite eine Art Mini-Shitstorm. Und ja, dann gibt es immer Kritik mit der Frage: Darf man das, auf Instagram eine historische Persönlichkeit, die für ihre und unsere Ideale gestorben ist, so erzählen?  Und wir glauben, ja. Man fragt ja auch nicht, darf man denn einen Spielfilm über Sophie Scholl machen? Würde nie jemand fragen – auch wenn das natürlich eine andere Ebene ist. Unsere Aufgabe ist es, Geschichte zu erzählen und Menschen für Geschichte zu begeistern und ich glaube, wenn das ein Weg ist, wie man Leute dafür gewinnt, dann ist es für mich so ein großer Gewinn. Sophie Scholl war eine junge, kluge Frau, die wollte, dass ihre Gedanken rausgehen in die Welt.